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NI #013 Prinzip der Verfügbarkeit nach IEC/IEEE 82079-1

NI #013 Prinzip Der Verfügbarkeit Nach IEC/IEEE 82079-1

Der technische Wandel und die damit verbundene Digitalisierung betrifft auch die technische Dokumentation. Immer mehr Unternehmen wollen Ihre Anleitung digitalisieren oder in einer digitalen Form zur Verfügung stellen. Und diese Verfügbarkeit ist ein großes Thema. Daher schauen wir uns das Prinzip der „Verfügbarkeit“ der IEC/IEEE 82079-1 heute etwas näher an.

Heute setzen wir uns erneut mit der IEC/IEEEE 82079-1 „Erstellen von Nutzungsinformationen“ als Edition 2 von 2019 auseinander.  In der letzten Folge haben wir uns das Prinzip der Konsistenz angeschaut. Heute schauen wir uns das Prinzip „Verfügbarkeit“ an.

In diesem Zuge möchte ich auf unsere Online-Seminare hinweisen. Wir haben neue Themen in unsere Online-Seminare aufgenommen.

Eine wichtige Anmerkung: Die neue 82079 ist noch nicht in Deutsch erschienen. Wir arbeiten hier mit der englischen Norm sowie einem Praxisleitfaden zur Norm. Zur deutschen Version könnten sich also noch einige Dinge ändern.

Der Leitfaden wird von unserem Branchenverband herausgegeben und wurde von Leuten verfasst, die auch bei der Entstehung der Norm beteiligt werden. Einige Autoren kennen Sie vermutlich sogar aus den Interviews von meinen Kollegen. Aufgrund der Nähe der Autoren zur Norm vermute ich aber wenige bis keine Änderungen.

In diesem Zuge möchte ich auch gleich erwähnnen, dass die Prinzipien der Norm selten alleine stehen. Häufig sind sie mit anderen Prinzipien der Norm verbunden und erzeugen so Schnittmengen. Diese Prinzipien behandele ich in anderen Folgen.

Ich verlinke daher hier auf die jeweiligen Folgen:

Die Anforderungen des Prinzips „Verfügbarkeit“

Beginnen wir also mit dem Prinzip der Verfügbarkeit. Dieses Prinzip ist sehr aktuell, hat eine große Bedeutung und wird dennoch interessanterweise fast immer vernachlässigt. Schauen wir uns aber erstmal an, was die Norm fordert. Danach schauen wir in die Praxis, inklusive eines aktuellen Beispiels.

Die Norm stellt dabei nur eine Anforderung: Dass die Nutzungsinformationen während der gesamten zu erwartenden Lebensdauer des Produktes für die Zielgruppe verfügbar sind. Das bedeutet die Nutzungsinformation muss technisch zugänglich und lesbar sein.

Und diese Anforderung ist zwar kurz, aber hat es in sich. Denn die gesamte Lebenszeit des Produktes kann ein ganz schön langer Zeitraum sein. Und aus eigener Erfahrung wissen häufig die Hersteller nicht einmal, wie lange diese Zeit überhaupt ist.

Dieser Zeitraum sollte bereits Teil der Risikobeurteilung sein und dort betrachtet werden. Wenn ich Risikobeurteilungen für Kunden erstelle und nach dieser Angabe frage, herrscht meist jedoch erstmal Stille. Und dann kommen Lebenszeiten von einzelnen Maschinenteilen. Es kommen Aussagen wie „Ja Bauteil XY hält mindestens 10 Jahre“ oder „Ich denke so 20 Jahre müsste passen“.

Unsicherheiten bei der zu erwartenden Lebensdauer

Das größte Problem für dieses Prinzip ist also erstmal, dass die Hersteller häufig nicht wissen, wie lange Ihr Produkt „lebt“ bzw. leben wird. Und die Lebenszeit von Sicherheitsbauteilen oder ähnlichem ist dabei nicht mal ausschlaggebend. Denn die Lebenszeit des Produktes ist mit der Wirtschaftlichkeit gekoppelt.

Ein schönes Beispiel ist hier unser Auto. Sicherheitsrelevante Bauteile wie Bremsbelege nutzen sich unterschiedlich ab und müssen entsprechend ersetzt werden. Das hat jedoch nichts mit der Lebenszeit des Autos zu tun. Denn diese ist wesentlich höher, wenn das Fahrzeug entsprechend gewartet und gepflegt wird. Doch wie definiere ich nun die Lebenszeit?

Nun um bei unserem Beispiel mit dem Auto zu bleiben: Sobald ein Bestandteil des Autos versagt und ersetzt werden müsste, dessen Austausch nicht mehr wirtschaftlich ist. Zum Beispiel wenn der Motor nach 15 Jahren versagt oder den zu erwartenden Kilometerstand überschritten hat. Wir haben also quasi 2 Eckdaten in diesem Beispiel. Den Kilometerstand und das generelle Alter. Und wenn einer dieser Punkte überschritten ist, ist der Austausch vermutlich nicht mehr wirtschaftlich vertretbar, das Auto kann verschrottet werden.

Lange Lebenszeit bei Investitionsgütern, kurze Lebenszeit bei Gebrauchsgütern

Häufig ist die Lebenszeit dabei mit den Anschaffungskosten verbunden. Man kann also im Prinzip sagen, je teurer ein Produkt ist, umso länger sollte seine Lebenszeit sein. Ein Drehteil-Hersteller wird keine Werkzeugmaschine für mehrere Millionen Euro anschaffen, wenn diese eine Lebenszeit von wenigen Jahren hat. Genauso wenig erwartet man, dass ein PC mit heutigem Wert von 500 EUR noch in 10 Jahren ohne weiteres verwendet werden kann.

Hierbei gibt es natürlich auch weitere zu beachtenden Faktoren wie technische Weiterentwicklung, Auslastungsgrade, Abnutzung usw. Aber das alles möchte ich jetzt nicht weiter vertiefen da es nicht zu unserem eigentlichen Thema gehört. Ich denke, die Grundzüge der Lebenszeit sind soweit klar.

Die besondere Herausforderung in diesem Prinzip ist also, die Nutzungsinformationen für den jeweiligen Zeitraum zur Verfügung zu stellen und lesbar zu halten. Und wie Sie an meinen Beispielen sehen können, kann sich dieser Zeitraum von 1 Jahr oder weniger auf bis zu 20 oder 30 Jahre erstrecken.

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Herausforderung lange Lebenszeit

Und gerade diese langen Lebenszeiten sind eine Herausforderung für die technische Dokumentation. Ich nehme jetzt für mein Beispiel eine Maschine mit einer zu erwartenden Lebenszeit von 15 Jahren. 15 Jahre sind jetzt nicht sehr viel, wir bekommen regelmäßig Anfragen für die Unterstützung bei der Durchführung der CE-Kennzeichnung. Und diese Maschinen sind dann meist vor der Einführung der CE-Kennzeichnung in Betrieb genommen worden. Und das war 1993, sprich also fast vor rund 28 Jahren.

Nun also meine Frage an Sie: Wie gestalten Sie eine Nutzungsinformation, die noch in 15 Jahren verfügbar und lesbar ist? Oder schauen Sie mal in die Vergangenheit: Wo standen wir vor 15 Jahren? 2006 wurde die aktuelle Maschinenrichtlinie veröffentlicht. Smartphones in unserem heutigen Verständnis gab es noch nicht, Apples IPhone erschien erst 2007. Digitalisierung war noch in den Kinderschuhen, DVDs waren der Standard, Blue-Ray wurden neu eingeführt.

Jetzt stellen Sie sich vor, Sie haben damals die Nutzungsinformationen für Ihre Anlagen sowohl auf Papierform als auch zusätzlich digital auf einer DVD ausgeliefert. Und jetzt schauen Sie sich bitte den PC-Markt bzw. Ihren PC an. Hat er noch ein DVD oder Blue-Ray-Laufwerk? Könnten Sie die DVD abspielen? Also ich kann es mit meinem neuen PC hier nicht, auch mein privater PC hätte serienmäßig kein Laufwerk mehr gehabt.

Aber um auch gleich noch den Bogen zur Papierform zu ziehen. Ob diese noch lesbar ist, ist genauso eine schwere Frage. Viele Unternehmen verwenden gerne zur Kostenoptimierung recyceltes Ökopapier und ähnliche Materialien. Je nach Druck kann es hier auch dazu führen, dass die Informationen nach einer solchen Lebenszeit nicht mehr lesbar wären. Und auch die digitale Form lässt sich in Frage stellen. Denn hier haben wir das Problem des Dateiformates. Manche Dateiformate sterben mit der Zeit aus und können dann schlussendlich nach einer solchen Zeit nicht mehr geöffnet werden.

Bedeutung der Lebenszeit

Doch warum ist die Lebenszeit und die Verfügbarkeit nach einer solch langen Zeit immer noch so bedeutend? Nun zum einen haben wir auf der rechtlichen Seite die sogenannte Aufbewahrungsfrist. Und diese besagt bei Technischer Dokumentation, dass diese ab dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des letzten Produktes noch mindestens 10 Jahre aufbewahrt und zur Verfügung gestellt werden können muss. Und ich sage mindestens, da die Aufbewahrungsfrist an die Lebenszeit gekoppelt ist.

Um nochmal auf eine Zeitreise zu gehen. Jetzt stellen Sie sich vor, wir haben in den 90ern eine Maschine konstruiert und verkauft. Wir planten dort eine Lebenszeit von 20 Jahren ein. Das Produkt hat sich aufgrund unserer Expertise sehr gut verkauft und wir haben die Maschine bis 2010 produziert. 2010 lief die letzte Maschine vom Band, baugleich zur ersten von sagen wir 1995, inklusive derselben Dokumentation. Aus Sicht des Gesetzgebers müssen wir intern die Dokumentation bis mindestens 2020 vorhalten, aufgrund der Lebenszeit jedoch bis 2030. Und von 1995 bis 2030 sind es 35 Jahre. Das ist eine Herausforderung.

Und das ist jetzt eine einfache Rechnung, recht realitätsfern. Denn Produkte werden überarbeitet und verändert. Genauso die Dokumentation. Sie müssen nun also einen Überblick über alle Produkte und den dazugehörenden Dokumentationen behalten. Denn die zweite Anforderung des Gesetzgebers ist die Nachverfolgbarkeit.  Sie müssen also für Ihr Produkt von 1999 mit der Lebenszeit von 20 Jahren exakt diese Nutzungsinformation bis 2019 aufbewahren und den Behörden zur Verfügung stellen können.

Aktualität in der Praxis

Sie sehen wie komplex dieses Thema ist, auch in Zusammenhang mit der gesetzlichen Anforderung. Doch es geht noch weiter und wir wechseln daher in die Praxisteil. Den ein Grund warum ich dieses Prinzip heute behandeln wollte ist die Aktualität in der Praxis, erst gestern kann eine damit zusammenhängende Frage eines Kunden herein.

Denn die aktuelle Pandemie stellt die Unternehmen vor Herausforderungen. Und einigen geht vermutlich bald die finanzielle Luft aus oder sie wird zumindest dünner. Entsprechend kommt mein beliebtes Thema der Kostenreduktion auf den Tisch und ein unbeliebter Posten dabei ist meist die Technische Dokumentation.

Schnell bekommt der Redakteur oder dessen Abteilungsleiter Fragen von der Geschäftsleitung gestellt. Warum ist das so teuer? Müssen wir wirklich alles übersetzten? Können wir nicht Text lose Anleitungen machen? Unser Produkt ist doch selbsterklärend. Oder neuerdings: Können wir nicht eine Videoanleitung machen?

Verfügbarkeit von digitalen Anleitungen

Insbesondere der Wechsel des Mediums ist dabei ein interessanter wirtschaftlicher Faktor. Also der Wechsel von Papier auf digital. Denn die Anleitungen sind ja bereits digital vorhanden, es wäre also eine großartige Lösung sich einfach die Druckkosten zu sparen.

An dieser Stelle möchte ich nun nicht auf die Diskussion Papier vs. Digital eingehen, sondern mich auf die Verfügbarkeit von digitalen Anleitungen beschränken. Und das ist dann auch schon ausführliches Thema. Denn eng mit der Verfügbarkeit verbunden ist die Art und Weise wie die Informationen zur Verfügung gestellt werden.

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Fiktiver Zeitsprung in die Zukunft – die rein digitale Anleitung ist da

Für unser Beispiel reisen wir ein paar Jahre in die Zukunft. Die neue Maschinenrichtlinie ist veröffentlicht und eine rein digitale Anleitung ist inzwischen auch rechtlich gesehen in Ordnung. Wir möchten unsere Papierdokumentation daher nun auch digital ausliefern.

Die erste Frage dabei wird sein, wie wir diese zur Verfügung stellen. Und bei einer solchen Umstellung sollte man auch die kommenden Jahre oder Jahrzehnte und mögliche technischen Trends mit einbeziehen. Wir stehen also vor der Wahl der Qual. Den neben der Art und Weise wie wir die Nutzungsinformation zur Verfügung stellen müssen wir uns auch darüber Gedanken machen, wie diese für die Zielgruppe über einen längeren Zeitraum auch verfügbar bleibt.

Beispiel für die Verfügbarkeit von Nutzungsinformationen

Die einfachste Lösung bei einer Maschine mit einem Display wäre die Einbindung der Informationen in die Steuerung. Ähnlich wie man es auch heute schon kennt. Jedoch müssen wir hier eben die Verfügbarkeit sicherstellen. Es stellt sich also die Frage, was machen wir, wenn das Display aufgrund einer Störung nicht verfügbar ist? Wie kommt die Zielgruppe dann an die Informationen die sie für die Beseitigung der Störung benötigt?

Eine weitere Lösung wäre die Beilegung einer DVD oder eines Flashspeichers mit den abgespeicherten Informationen. Hier stellt sich dann die langfristige Frage: Sind die Informationen noch in X Jahren abrufbar? Heute bestimmt aber was ist in 5 Jahren?

Ein anderer Lösungsansatz ist das Bereitstellen von Videos auf Plattformen wie YouTube. Dort können die Informationen dann von so gut wie jedem Endgerät abgerufen werden. Und das YouTube aufhört zu existieren, darf wohl bezweifelt werden. Jedoch ist der Weg von der klassischen Anleitung hin zum Video ebenfalls nicht kurz und auch häufig mit entsprechenden Kosten verbunden. Zu guter Letzt hätten wir wohl noch das Internet bzw. die Website des Herstellers allgemein. Auch dort können die Informationen zur Verfügung gestellt werden.

Aber auch diese Art und Weise klingt einfacher als es ist. Denn man muss schließlich gewährleisten, dass die Informationen verfügbar sind, auch wenn sich die Website verändert. Insbesondere falls sich die gesamte Adresse der Website ändert. Hier können Umfirmierungen und ähnliches zu hohem Aufwand führen, da dann Verlinkungen und ähnliche Pfade neu gepflegt werden müssen. Und je nach Anzahl der verschiedenen Anleitungen muss zudem sichergestellt werden, dass alle und auch die korrekten Anleitungen unter den jeweiligen Links zu finden sind. Auch das macht Arbeit.

Resümee und mögliche Ansätze

Wie Sie sehen können ist die Verfügbarkeit der Anleitung ein komplexes Thema, das viele gründliche Überlegungen erfordert. Und falls Sie sich heute bereits mit diesem Thema beschäftigen, fragen Sie sich sicher: „Wo fange ich an?“

Ein möglicher Ansatzpunkt sind die Zielgruppe und die Produktbeobachtungspflicht. Schauen Sie sich an, wie Ihre Zielgruppe heute mit den Nutzungsinformationen umgeht. Wie sucht sie nach Lösungen für Probleme? Wie wird die Anleitung gehandhabt? Und wie sieht es mit Produkten aus, die bereits seit einigen Jahren auf dem Markt sind? Stehen die Anleitungen dort in Ordnern in Schränken herum oder wie ist die Situation?

Analysieren Sie die Situation und überlegen Sie, wo die Reise der Informationen in Ihrem Unternehmen hingehen soll. Planen und führen Sie dann die Umsetzung durch. Eine kurzfristige, unüberlegte Umstellung des Formats der Informationen beeinträchtigt die Verfügbarkeit und kann auch sehr teuer werden. Insbesondere wenn weitere Faktoren wie Haftungsfälle aufgrund dessen eintreffen sollten.

Unser Referent, Matthias Schulz, hat einmal in einem Seminar von seinem ehemaligen Arbeitgeber erzählt. Dort wurden in den 80ern Entscheidungen im Zuge der Digitalisierung getroffen, von denen das Unternehmen seither profitiert. In den 80ern wurde dort die Dokumentationsabteilung der EDV untergeordnet. Unter dem einfachen Vorwand, dass auch Anleitungen aus Informationen und Daten bestehen und diese auch verwaltet werden müssen. Damals noch auf Papier, später immer mehr Digital. Dadurch war die Doku sehr nah an der technischen Entwicklung des Unternehmens beteiligt. Dokumente wurden digitalisiert, daraus entstanden neben den Datenbanken für Anleitungen auch Wikis und andere Informationsquellen für die verschiedenen Abteilungen des Unternehmens. Aber solche Projekte funktionieren nicht von heute auf morgen, sondern benötigen Zeit.

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