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NI #011 Prinzip der Prägnanz nach IEC/IEEE 82079-1

NI #011 Prinzip Der Prägnanz Nach IEC/IEEE 82079-1

Heute setzen wir uns erneut mit der IEC/IEEEE 82079-1 „Erstellen von Nutzungsinformationen“ als Edition 2 von 2019 auseinander.  In der letzten Folge haben wir uns das Prinzip der Korrektheit  angeschaut. Heute schauen wir uns das Prinzip „Prägnanz“ an.

In diesem Zuge möchte ich auf unsere Online-Seminar hinweisen. Wir haben neue Themen in unsere Online-Seminare aufgenommen.

Eine wichtige Anmerkung: Die neue 82079 ist noch nicht in Deutsch erschienen. Wir arbeiten hier mit der englischen Norm sowie einem Praxisleitfaden zur Norm. Zur deutschen Version könnten sich also noch einige Dinge ändern.

Der Leitfaden wird von unserem Branchenverband herausgegeben und wurde von Leuten verfasst, die auch bei der Entstehung der Norm beteiligt werden. Einige Autoren kennen Sie vermutlich sogar aus den Interviews von meinen Kollegen. Aufgrund der Nähe der Autoren zur Norm vermute ich aber wenige bis keine Änderungen.

Die Anforderungen des Prinzips „Prägnanz“

Wie immer, beginnen wir erstmal mit dem, was die Norm unter diesem Prinzip versteht und welche Anforderungen an die Nutzungsinformation gestellt wird. Unter dem Begriff „Prägnanz“ kann man ja einiges verstehen oder hineininterpretieren. Auch dieses Mal werden wir aufgrund des Umfanges des Prinzips direkt in die Interpretation und Praxis übergehen und fließend hin und her wechseln.

Die Anforderungen aus dem Leitfaden sind im Vergleich zum Prinzip der „Korrektheit“ umfangreicher, sind aber dennoch schneller abgehandelt wie die Anforderungen der „Vollständigkeit“. Aber auch dieses Prinzip steht nicht allein, es entfaltet ebenfalls eine Wechselwirkung mit anderen Prinzipien. In diesem Fall mit den Prinzipien des Minimalismus und der Korrektheit.

Das Prinzip der „Prägnanz“ verlangt vom technischen Redakteur, dass die Nutzungsinformation, also zum Beispiel die Anleitung, im Hinblick auf Inhalt, Format und Medien prägnant sein müssen. Als prägnant definiert die Norm dabei mehrere Aspekte. Zum einen sollen Formulierungen kurz und präzise sein. Zum anderen sollen Informationen auf unnötige Einzelheiten und Details verzichten. In diesem Zuge erwähnt das Prinzip insbesondere Texte, Illustrationen und Videos. Und mehr Informationen stehen nicht im Leitfaden.

Was prägnante Texte und Formulierungen nicht sind

Daher verbleibt uns die Aufgabe, uns erstmal mit diesen Anforderungen auseinanderzusetzen und diese zu interpretieren. Gehen wir also der Reihe nach vor und beschäftigen wir uns erstmal mit den Formulierungen. Diese sollen kurz und präzise sein.

An dieser Stelle möchte ich gleich hervorheben, was nicht kurz und präzise ist: Und zwar wenn am Ende einer Handlungsanweisung ein Satz steht, der sinngemäß folgendes aussagt: „Zum erneuten Zusammenbau folgen Sie der Handlung in umgekehrter Reihenfolge“. Das mag zwar die Handlung kürzen, führt aber häufig nicht ans Ziel.

Denn würde der Leser der Handlung exakt folgen würde er nicht weiterkommen. Fängt er beim letzten Schritt an und dort steht beispielsweise „Tauschen Sie die Batterie aus“, würde er diese Handlung doppelt ausführen. Er hat sie ja schließlich schon gemacht. Und sollte dort stehen „Setzen Sie die neue Batterie ein“, hilft ihm das auch nicht weiter. Denn diese ist bereits eingesetzt.

Diese Sätze mit „Einbau in umgekehrter Reihenfolge“ stimmen nämlich nicht. Es ist nicht nur die umgekehrte Reihenfolge es sind auch immer die gegenteiligen Handlungen. Wurde etwas in der Handlung demontiert, so muss es beim Zusammenbau wieder montiert werden. Der Leser muss also wesentlich mehr nachdenken und überlegen. Und das hat nichts mehr mit einer Handlungsanweisung zu tun. Hinzu kommen mögliche Gefährdungen. Stehen in der Handlung Sicherheitshinweise vor der Handlung, würden diese bei der umgekehrten Reihenfolge nach der Handlung stehen. Und das kann ganz schön ins Auge gehen.

Wechselspiel der Prinzipien

Was ist also in der Praxis stattdessen mit Prägnanz gemeint? Was sind kurze und präzise Sätze? Nun ich glaube da stimmt mir nun jeder zu: Ein Satz in der Länge eines Absatzes mit 4 Zeilen ist definitiv nicht kurz und präzise. Gelangt man während des Lesens ans Ende des Satzes, weiß man häufig nicht mehr was Anfangs stand.

Und das ist tatsächlich ein häufiges Problem in der Praxis. Sätze sind häufig viel zu lang und verschachtelt. Für die Zielgruppe schwer zu lesen und auch für den Übersetzer schwer zu übersetzen. Die Textqualität leidet massiv darunter. Dieselbe Situation gibt es in Handlungsanweisungen. Dort werden viele Handlungen in einen Schritt gepresst. Meist zusammen mit einem Bild. Die Folge sind überfüllte Bilder und zu viele Informationen in einem Schritt. Und nachvollziehbar ist die Handlungsanweisung häufig auch nicht. Sie wäre also somit „kurz“ aber nicht prägnant.

Besser ist es, wenn jede Tätigkeit der Handlung einen eigenen Schritt bekommt. Am besten sogar mit eigenem Bild. Dann sind die Handlungen nachvollziehbar und häufig trotzdem kurz. Und ja, die komplette Handlung könnte dann als zu lang eingestuft werden. Manche würden behaupten, dass wir so auch gegen das Minimalismus-Prinzip verstoßen. Die Anleitung wird nämlich ziemlich lang.

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Anleitung wird trotz Minimalismus-Prinzip umfangreicher

Um etwas Praxisbezug zu bekommen, ein Beispiel aus den vergangenen Jahren. Die ursprüngliche Anleitung einer komplexeren Anlage hatte 190 Seiten. Nach unserer Überarbeitung waren wir bei 350 Seiten. Ja, das ist eine ordentliche Steigerung. Aber sie war notwendig, auch aus Sicht des Minimalismus.

Das klingt erstmal widersprüchlich, ich weiß. Aber ist es in der Tat nicht. Zum einen fehlten der Anleitung viele Informationen, wir sind also auch beim Prinzip der Vollständigkeit. Hauptpunkt jedoch war, dass die Anleitung für ungelernte Maschinenbediener geschrieben sein sollte, was sie aber nicht war. Während der Überarbeitung ermittelten und ergänzten wir die für die Zielgruppe relevanten Informationen. Zeitgleich überarbeiteten wir die Handlungsanweisungen, damit jeder Schritt auch nur eine Tätigkeit enthielt.

Durch die Überarbeitung nach Vollständigkeit, Minimalismus und Prägnanz wurde eine Nutzerinformation erfüllt, die für den Verwender geeignet war. Er konnte danach mit der Nutzerinformation arbeiten. Und zeitglich ging der Schulungs- und Supportaufwand beim Hersteller zurück. Weil der Leser die benötigten Informationen in der Anleitung finden konnte und dafür nicht mehr beim Hersteller nachfragen musste.

Prägnanz hat auch etwas mit Informationsmenge zu tun.

Ein aus meiner Sicht wichtiger Teil für prägnante Texte ist der Informationsgehalt. Häufig sehen wir schlechte Sicherheits- und Warnhinweise. Die enthalten Häufig nur das Signalwort, eine sehr kurze Gefahrenbeschreibung und das dazugehörende Piktogramm. Z. B. Gefahr, Lebensgefährlicher Stromschlag und dann das Piktogramm.

Der Leser nimmt diese Information auf. Kann aber aus meiner Sicht nicht viel damit anfangen, da Informationen fehlen. Woher kommt der lebensgefährliche Stromschlag. Und wie kann ich ihn vermeiden? Mit mehr Informationen wird der Warnhinweis besser und meiner Meinung nach prägnanter. Denn wenn der Warnhinweis auch Informationen zur Quelle der Gefahr gibt und wie ich es vermeiden kann, so bleibt der Warnhinweis besser im eignen Gedächtnis. Denn durch den Kontext kann ich die Situation konkret nachvollziehen und später auch wieder besser in Erinnerung rufen. Der Warnhinweis ist prägnant.

Unnötige Einzelheiten und Details

Wechseln wir nun von den Formulierungen auf den zweiten Teil der Anforderung. Auf Texte, Illustrationen und Videos und die damit verbunden Einzelheiten und Details. Den das Prinzip fordert, das auf unnötige Einzelheiten verzichtet wird.

Auf das Dilemma, welche Informationen notwendig und welche unnötig sind, habe ich bereits in den letzten Folgen verwiesen. Hier hängt vieles von der Zielgruppe ab.

Ich verlinke daher die jeweiligen Folgen:

Aber die Anforderung geht tiefer. Bleiben wir daher erstmal beim Text. Mit der Zielgruppenanalyse ermitteln wir bereits einen großen Teil dieser Anforderung. Wir wissen welche Informationen die Leser benötigen und können sie mit diesen versorgen. Problematisch kann das ganze werden, wenn wir ein Produkt haben, dessen Zielgruppe sich nur schwer definieren lässt. Weil beispielsweise die Ausbildungen in anderen Staaten nicht vorhanden sind und wir dort andere Gegebenheiten beim Leser antreffen.

Der Spagat zwischen Normeinhaltung und Kosteneffizienz

In dieser Situation stehen dann der Redakteur bzw. eher der verantwortliche Abteilungsleiter vor einer Entscheidung. Einhaltung der Norm und deren Prinzipien oder kosteneffiziente Dokumentation. Ein Mittelweg ist dabei nur bedingt möglich.

Ich erläutere es an einem Beispiel: Bei einem Produkt für Deutschland muss man in der Regel nicht beschreiben in welche Drehrichtung eine Schraube gedreht werden muss. Das ist bei uns Allgemeinwissen. Liest man Broschüren und Bücher zum Thema Betriebsanleitungen für den US-Markt, wird diese Information hingegen als erforderlich genannt. Weil es dort kein Allgemeinwissen ist.

Im Beispiel soll es nur eine einzelne Anleitung geben, für beide Märkte. Wir haben also die Wahl. Entweder wir halten uns an die IEC/IEEE 82079-1 und deren Prinzipien oder wir verstoßen durch die Aufnahme dieser Information gegen diese. Zumindest wenn man die Anleitung im Kontext des deutschen Marktes betrachtet.

Bei den Illustrationen geht es weiter

Ein ähnliches Problem haben wir übrigens im Bereich der Illustrationen und Zeichnungen. Mit den heutigen Softwaretools ist es leicht aus CAD-Daten Bilder für die Anleitung zu generieren. Der richtige Weg entsprechend der Norm wäre jedoch, auch diese Bilder noch zu überarbeiten. Beispielsweise durch Grafiker. Diese entfernen dann alle unnötigen Linien und Teile aus der Illustration. Das Ergebnis ist eine vereinfachte Darstellung des Produktes, das durch die Aufarbeitung der Zeichnung schnell die Informationen vermittelt, die der Leser benötigt.

Aber diese Überarbeitung kostet Zeit und schlussendlich Geld. Denn wenn man es kritisch sieht, könnte man argumentieren, dass die CAD-Zeichnung genauso gut geeignet ist für die Anleitung. Es werden schließlich dieselben Informationen vermittelt.

Das Thema können wir auch auf Fotos und Videos ausweiten. Fotos von der Transportverpackung werden zum Beispiel gerne in Lagerhallen gemacht. Die Folge dabei durch ist, dass nicht nur das verpackte Produkt zu sehen ist, sondern auch Teile der Fertigungshalle. Somit verfügt das Bild über Informationen die nicht benötigt werden. Korrekt wäre es, das Bild freizustellen und nachzubearbeiten.

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Zu lange Videos mit unrelevanten Informationen

Bei Videos kommt übrigens noch ein weiterer Aspekt hinzu. Wenn man als Endnutzer Schwierigkeiten mit einem Produkt hat, wird heutzutage häufig das Internet zur Lösung verwendet. Meist sucht man dabei die Informationen über Suchmaschinen. Als Ergebnisse werden dann auch häufig Videos zum Problem angezeigt.

Und dort haben wir dann das Problem, dass die Videos viel zu viele Informationen beinhalten. Häufig fehlen dann auch noch Bedienelemente wie Kapitelmarken. Der Zuschauer wird so häufig dazu gezwungen mehrere Minuten lang Informationen zu betrachten, die er gar nicht benötigt. So entsteht Frust.

Besser wäre die Aufteilung der Inhalte in sinnvolle Teilvideos. Zum Beispiel ein Video zur Reinigung, ein Video zum Zusammenbau, etc. Damit der Zuschauer schneller die gewünschten Informationen findet. Dabei fällt übrigens auch gerne die Faulheit der jeweiligen Unternehmen auf. Wenn man ein Video zur Reinigung von Produkt A veröffentlicht und dort dazu schreibt, dass die Abläufe auch für die Produkte B – E gelten. Und diese Produkte komplett anders aussehen. Auch das führt zu Frust beim Zuschauer und geht klar am Ziel vorbei.

Übergang zur Praxis und Zusammenfassung

Zusammengefasst sind die Anforderungen des Prinzips der Prägnanz für viele Redakteure nichts neues. Informationen müssen gut aufbereitet und prägnant sein. Damit nach Möglichkeit ein Nutzer nicht 5-mal eine Handlungsanweisung zum Reinigen lesen muss, sondern er die Abläufe schon vielleicht nach 3-maliger Wiederholung kennt und umsetzen kann.

Jedoch finde ich, sieht man gerade bei diesem Prinzip die Hürden für die Umsetzung in der Praxis sehr gut. Kaum ein anderes Prinzip zeigt den Kontrast zwischen Wirtschaftlichkeit und Normentreue besser auf und stellt somit Entscheider und Führungskräfte vor Diskussionen. Ist eine Anleitung für viele Zielmärkte sinnvoll? Welche Vor- und Nachteile entstehen dadurch für das Unternehmen. Und wie müssen eventuell Prozesse angepasst werden um die bestmögliche Lösung zu erreichen?

Denn sind wir mal ehrlich: Wie oft haben Sie schon mitbekommen, dass die Anleitung auf den letzten Drücker gemacht wird? Das Produkt ist gerade aufs Schiff, jetzt noch schnell die Anleitung machen. Unter diesem Zeitdruck eine Anleitung zu erstellen ist nicht sinnvoll. Und dann haben Sie auch keine Zeit, einen Illustrator alle Bilder und Zeichnungen überarbeiten zu lassen. In dieser Situation reden wir dann jedoch nicht mehr über die Umsetzung von Normen, sondern eher über die Prozesse im Unternehmen und ob diese so noch zeitgemäß und sinnvoll sind.

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