Die Welt der Normen und Verordnungen ist ständig im Wandel. Regelmäßig werden neue Normen, Verordnungen…
NI #008 IEC/IEEE 82079-1 „Erstellen von Nutzungsinformationen“ Edition 2
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Mehr InformationenBevor wir mit dem eigentlichen Thema beginnen, habe ich noch ein paar Anmerkungen. Zum einen entsteht diese Folge aufgrund der Pandemie in meinem Home-Office. Das bedeutet, die Aufnahme entspricht vermutlich nicht der gewohnten Qualität. Einfach aus den Gründen, da ich weder Podcast-Kabine noch das entsprechende Mikrofon und Equipment habe.
Auch bei unserer Veröffentlichung der Podcastfolgen wird sich etwas ändern. Neue, umfangreiche Themen und Folgen möchten wir zukünftig montags um 05:00 Uhr morgen veröffentlichen. So möchten wir Platz für eine zweite Veröffentlichung gegen Ende der Woche einräumen. Dort möchten wir kurze Themen besprechen. Wenn Sie Anregungen oder Wünsche dazu haben, schreiben Sie mir gerne eine E-Mail oder einen Kommentar.
Zum anderen werde ich in dieser Folge öfters Synonyme für die Norm verwenden. Denn „IEC/IEEE 82079-1 Erstellen von Nutzungsinformationen Edition 2 von 2019“ ist ein ganz schöner Zungenbrecher. Wenn ich in dieser Folge von 82079 oder 82079-1 oder ähnlichen Bezeichnungen rede, beziehe ich mich immer auf dieselbe Norm. Sollte ich auf die Vorgängernorm von 2012 verweisen, werde ich es entsprechend betonen.
Und als letzte Anmerkung: Die neue 82079 ist noch nicht in Deutsch erschienen. Wir arbeiten hier mit der englischen Norm sowie einem Praxisleitfaden zur Norm. Der Leitfaden wird von unserem Branchenverband herausgegeben und wurde von Leuten verfasst, die auch bei der Entstehung der Norm beteiligt werden. Einige Autoren kennen Sie vermutlich sogar aus den Interviews von meinen Kollegen.
Die neue Norm und Ausblick auf weitere Folgen
So dann würde ich nun aber zu unserem eigentlichen Thema kommen, der IEC/IEEE 82079-1 „Erstellen von Nutzungsinsformationen“ in Edition 2 von 2019. Wir werden uns heute mit einem der Prinzipien der Norm auseinandersetzen. Ergänzend werde ich auf Umsetzungsmöglichkeiten und Schwierigkeiten in der Praxis eingehen.
Ich werde auf diese Weise die Norm auseinander nehmen und stückchenweise behandeln. Eine Interpretation der Norm wie letztes Jahr bei der DIN EN ISO 20607 werde ich nicht machen, weil diese Norm viel umfangreicher ist und wir sonst vermutlich 20 oder mehr Folgen dazu hätten. Das möchte ich Ihnen und auch mir ersparen und das ganze etwas kompakter handhaben.
Da ich diese Woche neue Erfahrungen zum Thema „Minimalismus-Prinzip“ gemacht habe und wir in bei unserern Prüfungen häufig Dokumente bekommen, die unnötig aufgebläht sind, möchte ich auch genau mit diesem Prinzip heute Anfangen.
Die Anforderungen des Minimalismus-Prinzip
Bevor wir auf die Praxis schauen können, schauen wir uns die Anforderung und Beschreibung des Prinzips an. Im Praxisleitfaden steht dazu: „Nutzungsinformationen müssen nach der Norm minimalistisch gehalten werden. Das heißt, dass auf weitschweifende Erklärungen und Füllwörter genauso verzichtet werden soll wie auf Redundanzen. Lediglich sicherheitsbezogene Informationen dürfen laut Norm bei Bedarf wiederholt werden.“
So was können wir daraus entnehmen? Eine Anleitung sollte so kurz wie möglich gehalten werden. Wo wir direkt auch beim ersten Problem sind. Wann ist eine Anleitung so kurz wie möglich? Wenn sie nur 2 Seiten hat? Wenn Sie direkt auf ein Video verweist? Oder wenn sie mindestens einen Leitz-Ordner füllt?
Diese Frage lässt sich wie man hier sieht, nicht ohne weiteres klären. Denn es ist komplexer als hier beschrieben. Die Anforderungen an die Inhalte kommen von verschiedenen Seiten. Zum einen vom Nutzer, also der Zielgruppe. Zum anderen von Richtlinien, unter die das Produkt fällt. Und zum Schluss aus anderen Normen, hier meist B- oder C-Normen.
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Wechselspiel mit den Prinzipien der Vollständigkeit, Prägnanz und Verständlichkeit
Bevor wir diese Anforderungen genauer betrachten, möchte ich auf ein Zusammengreifen der einzelnen Prinzipien verweisen. Denn die 82079 hat insgesamt 7 verschiedene Prinzipien, die an einigen Stellen wie ein Uhrwerk ineinandergreifen.
Und so kommt, es, dass man das Prinzip Minimalismus nicht allein betrachten kann. Denn die Prinzipien Vollständigkeit, Prägnanz und Verständlichkeit hängen eng mit dem Minimalismus zusammen. Beim Prinzip Vollständigkeit haben wir sogar ein Zielkonflikt! Denn vollständig bedeutet schließlich, dass alles enthalten ist. Und das Prinzip des Minimalismus möchte so wenig wie möglich.
Aber auch die Prinzipien Prägnanz und Verständlichkeit dürfen nicht vernachlässigt werden. Kurze, unverständliche Anleitungen sind genauso eine Zeitverschwendung wie Anleitungen, die so schlecht geschrieben sind, dass man sie mehrfach lesen muss, bevor man sieht versteht.
Mindestinhalte für Anleitungen
Jedoch möchte ich nicht weiter auf diese anderen Prinzipien eingehen, sondern werde diese wie angekündigt in eigenen Folgen behandeln. Lediglich das Prinzip der Vollständigkeit werden wir näher betrachten, weil es für das Minimalismus-Prinzip notwendig ist.
Eine Anleitung muss laut diesen beiden Prinzipien so vollständig und beim Umfang so gering wie möglich sein. Wie entscheidet das ein technischer Redakteur? Nun hoffen wir mal, gar nicht. Denn die Basis für diese Entscheidungen wurden hoffentlich viel viel früher getroffen. So schreiben es zumindest die Prozesse der CE-Kennzeichnung vor.
Was ich damit meine? Nun ich hoffe, Sie haben für Ihr Produkt während der Entwicklung eine ausführliche Normenrecherche gemacht. Denn diese bildet die Basis für die Mindestinhalte der Anleitung aus Sicht von Normen und Richtlinien. Entsprechend sollte auch der Technische Redakteur darauf Zugriff haben. Fordert beispielsweise eine C-Norm des Produktes, dass bestimmte Warn- und Sicherheitshinweise in die Anleitung müssen, kann man diese nicht einfach wegfallen lassen! Auch nicht aus dem Blickwinkel des Minimalismus-Prinzips.
Welche Inhalte können dagegen entfallen?
Das sind also Mindestinhalte für die Anleitung. Und wie entscheidet man, was entfallen kann? Nun diese Informationen kommen aus der Zielgruppenanalyse. Auch ein Thema was ich bereits in mehreren anderen Folgen erwähnt und behandelt habe.
Und was hat die Zielgruppenanalyse mit dem Minimalismus-Prinzip zu tun? Nun Informationen die die Zielgruppe kennt, müssen nicht mehr beschrieben werden. Diese können also aus der Anleitung entfallen. Leider wird das Ganze auch gerne missverstanden und komplett falsch angewendet. Oft bekommen wir Aussagen zu hören wie: „Die Nutzer sind Fachkräfte, die wissen wie man das macht“.
Warum das Falsch ist? Nun zum einen gibt es Fachkräfte wie sie in Deutschland vorkommen, nur in ganz wenigen anderen Staaten der Welt. Zu unterschiedlich sind die Ausbildungssysteme und oft werden Personen nur mehr oder weniger angelernt. Die Folge dadurch ist, dass wir in Deutschland definieren können, was eine Person nach der Ausbildung weiß. Geregelt wird das zum Beispiel über die Ausbildungsrahmenpläne. In anderen Staaten gibt es das nicht, wir haben also keine Basis an Grundkenntnissen, von denen man ausgehen kann.
Kopflos zur Zielgruppe
Zum anderen ist diese Aussage immer dann falsch, wenn plötzlich andere Zielgruppen an das Produkt herantreten. Das kann zum Beispiel dann passieren, wenn Lastenhefte falsch oder nur stückweise gelesen werden. Das habe ich alles schon live erlebt. Und das kann ganz schön teuer und frustrierend werden, wenn plötzlich statt einem Werkzeugmacher ein ungelernter Laie die Maschine bedienen soll.
Leider ist es in der Praxis jedoch häufig sogar so, dass es gar keine Zielgruppendefinition gibt und einfach darauf losgearbeitet wird. Produkte sollen für „alle“ oder Fachkräfte beschrieben werden. Mehr Informationen und Gedanken werden nicht gemacht, ist schließlich nicht notwendig. Macht man ja schon seit Jahrzehnten so und es ist noch nie etwas passiert.
Die Folge davon ist jedoch nicht nur eine umfangreiche Anleitung, die vermutlich viel zu viele unnötige Informationen beinhaltet und wahnsinnig teuer in der Übersetzung ist. Die Folgen können sogar viel weitreichender sein. Denn die Zielgruppenanalyse sollte spätestens im Zuge der Risikobeurteilung und Konstruktion durchgeführt werden. Nur so können mögliche Fehlgebräuche des Produktes früh erkannt und durch konstruktive Mittel verhindert werden. Das nennt sich dann eine fehlerfreie Konstruktion im Sinne der Produkthaftung.
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Minimalismus Prinzip in der Praxis
Wie Sie sehen, ist das Minimalismus-Prinzip schon älter als die 82079. Sie ist indirekt Teil des CE-Prozesses. Auch Richtlinien fordern indirekt das Minimalismus-Prinzip. So fordert zum Beispiel die Maschinenrichtlinie von 2006, in Kapitel 1.7.4.1 Allgemeine Grundsätze für die Abfassung der Betriebsanleitung im Punkt d): „Bei der Abfassung und Gestaltung der Betriebsanleitung für Maschinen, die zur Verwendung durch Verbraucher bestimmt sind, muss dem allgemeinen Wissensstand und der Verständnisfähigkeit Rechnung getragen werden, die vernünftigerweise von solchen Benutzern erwartet werden können.“
Hier bezieht sich die Maschinenrichtlinie zwar auf Verbraucher, schaut man sich hingegen die DIN EN ISO 20607 an, findet man dort ebenfalls die Hinweise und Verwendung von Zielgruppen und Zielgruppenanalysen. Und die DIN EN ISO 20607 ist schließlich eine harmonisierte Norm mit Konformitätsvermutung zur Maschinenrichtlinie.
Kommen wir daher nun von der Theorie zur Praxis und meinen Erfahrungen. Wie sieht es den tatsächlich im Markt aus? Nun die Zielgruppenanalyse ist geschätzt bei mindestens 50% der Unternehmen entweder unbekannt oder komplett unterschätzt. Entsprechend brauchen wir hier nicht vom Minimalismus-Prinzip anfangen, wir können es gar nicht anwenden, weil die Benutzer unbekannt sind. Geschweige denn die Normen- und Richtlinienrecherche korrekt durchgeführt wurde.
Der Profi muss es richten
Die Folge ist, dass wir entweder eine Zielgruppeanalyse erstellen oder mit den Informationen arbeiten müssen, die wir bekommen. Beim letzteren Fall wird es selbstverständlich schwer bis unmöglich, das Minimalismus-Prinzip einzuhalten. Zum Glück sieht es bei kompletten CE-Projekten besser aus. Dort sind wir von Anfang an dabei und können früh die Themen bearbeiten und eine solide Basis erstellen.
Aber es gibt auch Erfolgserlebnisse und schöne Rückmeldungen, wenn diese Prozesse erstmal durchgeführt und eine gute Anleitung entstanden ist. Wenn plötzlich Übersetzungskosten geringer werden, bemerken auch die in Dokumentation wenig bewanderten Kunden plötzlich, dass es Sinn gemacht hat. Und einmal bekam ich auch ein persönliches Dankeschön aus dem Kunden- und Servicecenter, da sich durch eine entsprechende Anleitung die Rückfragen der Benutzer verringert haben. Die Anleitung sorgte für mehr Klarheit beim Leser, er war sich in seiner Tätigkeit sicherer und musste nicht mehr den Service wegen Nachfragen kontaktieren.
Der Profi muss es richten
Aber es gibt auch konkrete Ansprüche an Minimalismus seitens Hersteller. Auch schon wesentlich länger als es die 82079 gibt. Jedoch hatte das nie mit einer guten Anleitung zu tun. Sondern lediglich mit Kosten. Genauer gesagt bei Druckkosten.
Oft bekomme ich die Frage: Können wir das noch kürzen? Die Druckkosten sind doch so hoch! Und dass dann mal X Sprachen! Brauchen wir wirklich eine solch umfangreiche Anleitung? Das weiß doch jeder!
Leider gibt es diese Fragen auch bei Einhaltung des Prinzips. Einfach schon deshalb, weil die Anleitung leider immer noch häufig als Kostenpunkt und unnötiges Beiwerk bezeichnet wird, das sowieso niemand liest. Und ich sage dann immer gerne: 2 Personen lesen Anleitungen auf jeden Fall. Ich und ein Jurist, wenn etwas passiert oder mit dem Produkt etwas nicht stimmt.
Und der Jurist ist inzwischen keine Person, die man vernachlässigen sollte. Die Zahl von Haftungsfällen steigt, egal ob wegen Produkthaftung oder einfach nur Klagen aus dem Wettbewerbsrecht. Die Folge können schnell teuer werden. Und Vorsicht, wenn Sie jetzt behaupten: Der Jurist ist aber nicht meine Zielgruppe. Denn es gab bereits in Deutschland die Situation wo die Richter die Anleitung gelesen haben, weil sie sich als Zielgruppe erkannt haben. Damals war es eine Anleitung für ein Spielzeug für Kleinkinder. Und die zuständigen Richter hatten zufälligerweise Kleinkinder.
Hürden bei der Umsetzung des Prinzips und mögliche Ansätze
Kommen wir nun im letzten Teil des Podcast noch zu Hürden und Ansätzen für die Umsetzung des Prinzips. Die Hürden dürften bereits klar sein. Umso schlechter die Zielgruppenanalyse und Normenrecherche durchgeführt wurde, umso schwerer hat es der Redakteur. Er wird sich zweifelsfrei dabei quälen, welche Informationen entfernt werden können und welche nicht.
In meinem aktuellen Projekt habe ich die Anleitung durchgearbeitet und Texte markiert und überlegt inwieweit ich diese streichen oder kürzen kann. Welche Informationen sind trivial und können entfernt werden? Welche sollten enthalten bleiben? So habe ich beispielsweise 5 Bilder aus der Anleitung entfernt, die den Ein- und Ausschaltknopf des Produktes zeigten. Einfach weil er an eine Stelle bereits beschrieben war und es auch nur ein Taster gab. Der Text machte zudem ebenfalls deutlich, wo sich dieser befindet.
In der aktuellen Ausgabe des tekom-Magazins hat außerdem unser Partner, Matthias Schulz, einen Text zu diesem Thema veröffentlicht. Dort stellt er zur Diskussion, inwieweit Inhalte zur Erläuterung der Anleitung sinnvoll und notwendig sind. Macht es beispielsweise Sinn, dem Leser zu erklären wie Handlungsanweisungen aufgebaut sind? Oder wie Warnhinweise aufgebaut sind? Ist das notwendig?
Nun es sind für mich auf jeden Fall sehr spannende Fragen. Denn meiner Meinung nach ist beispielsweise die Erläuterung von Warnhinweisen nicht sehr sinnvoll. Der Leser muss nicht wissen, was das Signalwort aufgebaut ist und was es bedeutet. Hingegen ist es wichtig, dass die vorkommenden Warnhinweise sinnvoll und vollständig sind. Wenn dort das SAFE-Prinzip eingehalten wurde, bekommt der Leser alle Informationen zur Gefahr und wie er sie vermeiden kann. Dann ist es prinzipiell unwichtig, ob beim Signalwort „Gefahr“ oder „Warnung“ steht.
Aber gerade das Thema Warnhinweise sollte noch mit Vorsicht gehandhabt werden. Ich kenne hierzu noch keine juristischen Aussagen. Aber Herr Schulz geht auch auf andere Bereiche ein, die unter das Minimalismus-Prinzip fallen. Denn wir müssen nicht immer Texte hinzufügen oder entfernen. Häufig reicht es, diese in eine andere Form zu bringen. Informationen in Tabellen können viel schneller erfasst werden als in Textform. Es ist beispielsweise sinnvoller eine Tabelle für die verschiedenen Betriebszustände einer Maschine zu verwenden, als diese in Satzform zu beschreiben. Auch das gehört zum Minimalismus-Prinzip.