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BA #025 DIN EN ISO 20607 oder doch DIN EN IEC IEEE 82079-1?

BA #025 DIN EN ISO 20607 Oder Doch DIN EN IEC IEEE 82079-1?

Endlich ist sie da. Die 82079-1 ist im August als deutsche Norm erschienen. Sie trägt nun den Namen DIN EN IEC IEEE 82079-1:2021-9 „Erstellung von Nutzungsinformationen (Gebrauchsanleitungen) für Produkte – Teil 1: Grundsätze und allgemeine Anforderungen“. Der technische Redakteur steht nun also offiziell vor der Wahl, ob er die DIN EN ISO 20607 oder die DIN EN IEC IEEE 82079-1 anwendet. Welche ist die richtige? Oder sollten doch eher beide parallel angewendet werden?

Gleich vorne weg: Die vollständigen Titel der Normen, also DIN EN ISO 20607:2019 „Sicherheit von Maschinen – Betriebsanleitungen – Allgemeine Grundsätze“ und DIN EN IEC IEEE 82079-1:2021-9 „Erstellung von Nutzungsinformationen (Gebrauchsanleitungen) für Produkte – Teil 1: Grundsätze und allgemeine Anforderungen“ sind etwas sperrig. Ich werde die Normen daher einfachheitshalber „20607“ und „82079“ nennen. Und mit 82079 bezeichne ich nur die aktuelle Norm aus dem August 2021, nicht die alte Norm aus 2012.

Ausführliche Informationen und Analysen der Normen

Falls Sie außerdem ausführliche Informationen zu den einzelnen Normen wollen, verweise ich hiermit gleich auf die einzelnen Podcasts. Denn die Normen enthalten sehr viel wissen. Zu viel, um es innerhalb dieser Folge zu behandeln. Aber ich habe diese bereits detailliert und über mehrere Folgen verteilt besprochen. Sie finden daher hier die Links zur ersten Folge der Normeninterpretation der 20607, und die erste Folge der Normeninterpretation der 82079.

Wir haben außerdem ein Interview mit Matthias Schulz zur 20607 und deren Bedeutung für den technischen Redakteur. Und für die Zuhörer mit Schnittmenge zur CE-Kennzeichnung finden Sie außerdem ebenfalls einen Link zu einer Folge. Denn die 20607 ist eine harmonisierte Norm zur Maschinenrichtlinie und hat daher eine besondere Bedeutung für die CE-Kennzeichnung.

Informationen aus der Normbezeichnung

So kommen wir nun aber zu unserem eigentlichen Thema. Ihr Arbeitgeber erteilt Ihnen den Auftrag für Ihr Produkt eine Betriebsanleitung zu erstellen. Nach kurzer Recherche im Internet finden Sie zwei Normen die das Thema zu behandeln scheinen. Die 20607 und die 82079. Doch Sie sind sich nicht sicher, welche Norm für Sie die richtige ist.

Aufgrund der Normenbezeichnungen können Sie bereits erahnen, dass die 82079-1 internationaler ist als die 20607. Denn diese ist für den EU-Markt konzipiert. Bei der 82079-1 haben mehrere Staaten wie USA und Japan mitgewirkt.

Wo wird das Produkt vertrieben?

Wir sollten uns also zu alle erst damit beschäftigen, wo unser Produkt verkauft werden soll. Wird es auf kurz oder lang außerhalb der EU verkauft? Dann wäre die Anwendung der 82079 der bessere Ansatz. Sollte das Produkt nur in den EU-Staaten verkauft werden, könnte die 20607 theoretisch ausreichen.

Der Absatzmarkt des Produktes ist dabei übrigens eine wichtige Informationsquelle. Denn er beeinflusst nicht nur welche der beiden Normen angewendet werden sollte, er beeinflusst das Produkt sehr stark.

Für den europäischen Markt fallen viele Produkte unter eine oder mehrere Richtlinien zur CE-Kennzeichnung. Und diese Richtlinien fordern wiederum häufig spezifische Inhalte in der Betriebsanleitung. Leider für viele Redakteure ein unbekannter Faktor, wenn diese eine Betriebsanleitung erstellen.

Dasselbe gilt selbstverständlich auch für andere Märkte. Die USA interessiert sich nicht für unsere CE-Kennzeichnung. Hier müssen andere Anforderungen erfüllt werden, abhängig von der Produktart. Organisationen wie OSHA oder die FDA können hier Anforderungen stellen.

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Veröffentlichungsdatum der Norm

Diese wichtigen Informationen haben wir bereits nur aus dem Titel der Norm bzw. den mitwirkenden Normungsorganisationen schlussfolgern können. Es stellt sich also die Frage, ob wir noch weitere Informationen allein aus dem Titel erhalten können. Und die Antwort ist JA!

Denn schaut man sich die Titel weiter an, stolpern wir bei beiden über eine Jahreszahl. Bei der 20607 über das Jahr 2019 und bei der englischen Fassung der 82079 ebenfalls. Bei der deutschen Fassung der 82079 wird stattdessen das Jahr 2021 angegeben, weil die Umsetzung etwas länger gedauert hat.

Dieses Datum verrät uns somit wie aktuell die Normen sind. Ist eine Norm etwas älter, so empfiehlt es sich nach neueren Versionen der Norm zu suchen. Denn wir wollen selbstverständlich für unser aktuelles Produkt auch aktuelle Normen heranziehen. Und gerade beim Thema „Betriebsanleitung erstellen“ und den dazugehörenden Normen hat sich viel in den vergangenen 10 Jahren getan. Die Veröffentlichung der 82079-1 von 2012 war ein Meilenstein und eine große Veränderung in diesem Themengebiet. Und die beiden neuen Normen haben wieder einiges verändert. Für Profis ist es daher sehr einfach ersichtlich, ob eine Betriebsanleitung unter Zuhilfenahme von Normen erstellt wurde und auch mit welchen.

Titel und Bezeichnung der Norm

Kommen wir von der Jahreszahl zum Titel und Namen der Norm. Denn dieser gibt sehr deutliche Informationen zum Themengebiet der Norm. Aufgrund des Titels und der Bezeichnung der Norm kann man zum Beispiel während der Normenrecherche direkt entscheiden, ob eine Norm für ein Produkt zutreffend ist oder nicht. Dazu muss man die Norm häufig nicht einmal lesen.

Wenn wir uns die beiden Normen unter diesem Punkt anschauen, erkennen wir, dass die 20607 etwas mit der Sicherheit von Maschinen zu tun haben muss. Ist unser Produkt also eine Maschine oder eine Anlage, so ist die Norm mit großer Sicherheit relevant für das Erstellen der Betriebsanleitung. Sollte das Produkt aber etwas anderes sein, so können wir bereits die Norm mit großer Sicherheit ausschließen.

Die 82079 macht es uns dagegen nicht so einfach. Den „Erstellung von Nutzungsinformationen“ ist jetzt nicht unbedingt aussagekräftig. Was ist eine Nutzungsinformation? Ist damit eine Anleitung gemeint? Und zu welcher Produktart gehört die Nutzungsinformation?

Nutzungsinformation, die neue Anleitung?

Nun es ist eigentlich ganz einfach. Denn die 82079 möchte sich nicht auf eine Branche oder eine Produktart festlegen. Sie ist eine sogenannte Horizontalnorm über alle Branchen und Bereiche hinweg. Sie gilt somit für alle Produktarten, von der Farbdose bis zur Industrieanlage.

Daher wurde als neuer Oberbegriff die Nutzungsinformation eingeführt. Denn es handelt sich schlussendlich immer um ein Dokument, dass dem Nutzer Informationen zur richtigen und sicheren Verwendung des Produktes zur Verfügung stellt. Egal ob es sich um eine Betriebsanleitung nach Maschinenrichtlinie handelt oder um „Informationen“ nach Produktsicherheitsgesetz.

Denn wer sich mit den verschiedenen Gesetzen und Richtlinien auseinandergesetzt hat, der weiß, dass es keinen einheitlichen Begriff für das Dokument gibt. Gemeint ist jedoch immer, dass der Hersteller dem Verwender des Produktes Informationen zur sicheren Verwendung des Produktes bereitstellt. Die 82079 fasst diese Begriffe daher alle als „Nutzungsinformation“ zusammen.

Nutzungsinformation geht aber weiter!

Aber dabei belässt es die 82079 nicht. Der Begriff „Nutzungsinformation“ geht weiter. Er ist auch losgelöst von der Form des Dokumentes. Es muss nicht immer die Papierform sein, die Norm versucht auch hier künftige Formen mit abzudecken. Egal ob digital oder in Apps. Der Fokus liegt auf der Bereitstellung der Informationen für den Verwender, egal in welche Form.

Und es geht noch weiter. Denn die 82079 beschäftigt sich mit allen Informationsprodukten die der Verwender erhält, egal zu welchem Zeitpunkt. Darunter fallen auch einzelne Informationshäppchen wie Displayanzeigen, vollständige Videos und Tutorials oder eben klassische Dokumente wie die Betriebsanleitung und auch Marketingprospekte.

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Der große Unterschied zwischen den beiden Normen

Anhand dieser Ausführung erkennen Sie den großen Unterschied zwischen den beiden Normen. Die 20607 beschäftigt sich mit Anleitungen für den Maschinen- und Anlagenbau. Der klassischen Betriebsanleitung.

Die 82079 hingegen beschäftigt sich mit den Informationen an sich. Allen Informationen die während des Produktlebenszyklus erstellt und an verschiedene Zielgruppen übergeben werden. Hier werden außerdem Kriterien wie Qualitätsmanagement und Mitarbeiterausbildung im Kontext der Informationserstellung behandelt.

Entsprechend unterscheiden sich beide Normen im Umfang. Die 20607 umfasst lediglich 38 Seiten. Bei der 82079-1 werden die Themen auf 78 Seiten behandelt, das ist mehr als doppelt so umfangreich.

Klärung der Ausgangsfrage

Wir bekommen also sehr viele Informationen aus den Titeln der beiden Normen. Jedoch haben wir immer noch nicht unsere Ausgangsfrage geklärt. Welche Norm ist für das Erstellen der Betriebsanleitung die richtige?

Auf Basis unserer bisherigen Informationen können wir bereits einige Rückschlüsse ziehen. Wenn wir im Maschinen- und Anlagenbau tätig sind, dann sollten wir beide Normen anschauen. Aufgrund der Konformitätsvermutung ist es nicht sinnvoll, die 20607 zu ignorieren. Wenn wir nicht im Maschinen- und Anlagenbau tätig sind, dann entfällt die 20607 und wir fokussieren uns ausschließlich auf die 82079.

Jedoch geht es für den Maschinen- und Anlagenbauer noch weiter. Denn er könnte ja immer noch die 82079 ignorieren. Und genau diesen Fall schauen wir uns jetzt an.

Zu hohe Anforderung an kleine Unternehmen

Warum sollte man die 82079 ignorieren bzw. wann ist sie nur bedingt sinnvoll. Nun prinzipiell erstmal nie. Denn Normen bilden immer den Stand der Technik ab und spielen bei Unfällen und daraus resultierenden Haftungsfällen eine wichtige Rolle.

Jedoch behandelt die 82079 das Themengebiet „Informationen erstellen“ sehr ausführlich. Vermutlich für kleine Unternehmen zu ausführlich. Denn für die Umsetzung der 82079 braucht es meiner Meinung nach einen technischen Redakteur. Eine Stelle, die es in kleineren Unternehmen häufig nicht gibt. Einfach weil er sich nicht rechnen würde. Werden nur wenige Maschinen im Jahr hergestellt, ist die anfallende Arbeit im Bereich der technischen Dokumentation gering. Der Konstrukteur oder andere Personen müssen die Arbeit mitmachen. Die Anforderungen aus der 82079 sind dann viel zu hoch angesetzt.

Gleichzeitig ist es in diesen Unternehmen häufig außerdem so, dass nicht einmal die Anforderungen der 20607 umgesetzt werden. Die Betriebsanleitung ist dort meist ein notwendiges Übel und wird mitgemacht. Weder haben die Leute Lust dazu noch haben sie eine Ausbildung dazu genossen. Kein Wunder, ein Konstrukteur möchte Probleme mit Ideen, Konzepten und neuen Produkten lösen und austüfteln. Und nicht das Ganze dokumentieren.

Fazit

Fassen wir das Ganze nochmals zusammen. Welche Norm angewendet werden sollte oder nicht, hängt maßgeblich vom Produkt und dem Absatzmarkt ab, für die wir die Betriebsanleitung erstellen. Wird eine Maschine oder Anlagen für den europäischen Markt beschrieben, so kommen wir nicht mehr um die Anwendung der 20607 herum.

Dann müssen sowohl 20607 als auch die 82079 angewendet werden. Für die Anwendung der 82079 gibt es hingegen nur ein Kriterium, die Unternehmensgröße. Kleinere Unternehmen ohne technischen Redakteur werden es mit der Fülle an Anforderungen schwer haben. Dazu ist das Maß der Dinge als Ganzes zu hoch.

Dennoch sollten sich auch kleinere Unternehmen an die 82079 halten und versuchen diese anzuwenden. Egal ob durch die Unterstützung eines Dienstleisters und Spezialisten in diesem Bereich oder in dem nur Teilbereiche der Norm bzw. Grundzüge umgesetzt werden. Denn die Norm bietet sehr viele Informationen zur Erstellung von verständlichen und guten Betriebsanleitungen und Nutzungsinformationen.

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