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NRL #001 Niederspannungsrichtlinie

NRL #001 Niederspannungsrichtlinie

Nichts ist ohne elektrischen Strom und ohne elektrischen Strom ist Nichts – so kann man heute unser hochtechnisiertes Lebensumfeld recht treffend beschreiben.

Kaum etwas in unserem heutigen Lebensumfeld funktioniert noch ohne elektrischen Strom. Die technische Entwicklung macht es möglich, die technische Entwicklung fordert es sogar in gewisser Hinsicht. Blickt man zurück, lässt sich eindrucksvoll erkennen, wann und in welchen Bereichen des täglichen Lebens der elektrische Strom Einzug gehalten hat. Seine Verwendung begann wohl in Zusammenhang mit der ersten echten Nutzung zum Antrieb von Elektromotoren im Jahre 1837 durch Thomas Davenport. Knapp 17 Jahre später trat die elektrische Beleuchtung durch Johann Heinrich Göbel und einige Jahre später durch Thomas Alvar Edison ihren Siegeszug an. Das liegt nun mittlerweile fast 190 Jahre zurück und die zunehmende Verwendung der elektrisch nutzbaren Energie ließ sich seitdem nicht mehr aufhalten und so ist heute nahezu unser gesamter Lebensbereich fast vollständig elektrifiziert.

Damit einher ergaben sich allerdings auch von Anfang an eine Bandbreite an Problemen, denn der elektrischen Strom ist unsichtbar und geruchlos. Wenn man einige seiner Wirkungen spürt, sieht oder riecht, ist oftmals etwas schief gelaufen.

Zu den wesentlichen Gefahren des elektrischen Stromes gehören der Stromschlag und durch Leitungsüberlastung, unsachgemäße Leistungsinstallation oder Gerätekonstruktion ausgelöste Brände. Insbesondere die latente Gefahr eines Stromschlages ist im Zusammenhang mit der technischen Dokumentation ein großes Thema.

Die recht einfache Möglichkeit, einen Stromschlag zu erleiden, resultiert aus der Beschaffenheit unserer Wechselspannungsnetze (auch Gleichspannung kann gefährlich sein, da sie heute aber meist nur in speziellen Bereichen zum Einsatz kommt, gehe ich hier nicht weiter darauf ein). Im Wechselspannungsnetz genügt es bereits, nur den spannungsführenden Leiter (die sog. Phase) zu berühren. Findet dann über den Körper eine Ableitung des Stromes gegen das Erdpotenzial statt (z. B. die andere Hand berührt einen Wasserhahn oder man steht auf leitfähigem Untergrund) fließt der elektrische Strom durch den Körper und richtet – je nach Einwirkungsdauer, Spannungs- und Stromhöhe – Schäden an, die oftmals bis zum Tod führen.
Diese Beschreibung ist sehr allgemein, aber ich möchte sie hier nicht mit technischen Details überfrachten. Dennoch empfehle ich dringend, sich mit diesem Thema einmal intensiv auseinanderzusetzen. Entsprechende Informationen finden Sie beispielsweise bei den Berufsgenossenschaften zum kostenlosen Download.

So ist es kein Wunder, dass recht bald eine Vielzahl von Vorschriften, Normen und Gesetzen erlassen wurden die sich mit der Gefährdung durch den elektrischen Strom beschäftigen und Anforderungen stellen, wie sich diese minimieren oder vermeiden lassen.

Eine der in der technischen Redaktionen wohl meistbekannten, ist die horizontal wirkende (also produktunabhängige) Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU (auch Low Voltage Directive – LVD). Sie ist Voraussetzung dafür, dass elektrotechnische Produkte in Verkehr gebracht werden dürfen. Allerdings greifen hier meist noch weitere Anforderungen wie sie sich beispielsweise aus

  • der Verordnung zur Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (ElektrStoffV) als Umsetzung der RoHS-Richtlinie 2011/65/EU

oder

  • dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) als Umsetzung der WEEE-Richtlinie 2012/19/EU

ergeben.

Wichtig: Sprechen wir über elektrotechnische Produkte und die NRL, müssen wir immer auch die EMV-Richtlinie 2014/30/EU mit ins Boot holen, denn elektrotechnische Geräte und elektromagnetische Verträglichkeit sind eng miteinander verbundene Themen. Hinsichtlich der EMV-RL verweise ich auf meine zweiteilige Podcastreihe, die Links habe ich in den Shownotes hinterlegt.

Ebenfalls wichtig: Die EMV-RL wie auch die NRL sind horizontale Vorschriften. Möglicherweise können für ein Produkt aber produktspezifische Vorschriften zu beachten sein, hier ist dann die Anwendung der EMV-RL und ggfs. der NRL nicht erlaubt.

Und nochmal wichtig:

Soll ein elektrotechnisches Produkt weltweit angeboten werden, darf man sich nicht auf die vorgenannten Vorschriften alleine verlassen, denn Länder wie beispielsweise die USA, Kanada, Japan oder China können Anforderungen stellen, die hiervon deutlich abweichen. Gründe hierfür können beispielsweise die teilweise völlig anderen Netzsysteme in den Ländern sein. So beträgt beispielsweise die Netzspannung in Japan nur 100 V, wobei die Netzfrequenz nicht für ganz Japan einheitlich ist: Sie beträgt in Ost-Japan wie bei uns 50 Hz, in West-Japan hingegen 60 Hz. Es ist also von großer Bedeutung, alle in dieser Hinsicht relevanten Vorschriften der Länder zu recherchieren.

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Die NRL – Geltungsbereich

Die NRL gilt für alle elektrischen Betriebsmittel, die in einem Bereich zwischen 50 V und 1.000 V Wechselspannung oder zwischen 75 V und 1.500 V Gleichspannung betrieben werden.

Ausnahmen hiervon sind in Anhang II aufgeführt (der aktuelle Stand hinsichtlich dieser Ausnahmen sollte regelmäßig überprüft werden). Dies sind

  • Elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosionsfähiger Atmosphäre
    hier gelten die Vorschriften der ATEX-Richtlinie 2014/34/EU
  • Elektro-radiologische und elektro-medizinische Betriebsmittel
    Diese unterliegen der Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745
  • Elektrische Teile von Personen- und Lastenaufzügen
    Diese unterliegen der Aufzugsrichtlinie 2014/33/EU
  • Elektrizitätszähler
    Hier ist zu prüfen welche unter die Messgeräterichtlinie 2014/32/EU fallen
  • Haushaltssteckvorrichtungen
    Dies mag einem möglicherweise etwas kurios vorkommen, liegt aber vermutlich darin begründet, dass es kein europaweit einheitliches System für diese Steckvorrichtungen gibt. Soweit es jedoch um spezialisierte Steckvorrichtungen für Geräte oder industrielle Verwendungen geht, gilt die Ausnahme nicht. Hier ist in jedem Fall genau zu prüfen welche Voraussetzungen gelten.
  • Vorrichtungen zur Stromversorgung von elektrischen Weidezäunen
    Geräte dieser Art unterliegen in einigen Mitgliedsstaaten möglicherweise noch immer nationalen Typzertifizierungen. Auch hier ist genau zu prüfen.
  • Funkentstörung

Dieses Thema fällt hinsichtlich der elektromagnetischen Verträglichkeit unter den Bereich der EMV-Richtlinie, in Bezug auf die Sicherheit sind jedoch die Anforderungen der Niederspannungsrichtlinie einzuhalten.

  • Spezielle elektrische Betriebsmittel, die zur Verwendung auf Schiffen, in Flugzeugen oder in Eisenbahnen bestimmt sind und den Sicherheitsbestimmungen internationaler Einrichtungen entsprechen, denen die Mitgliedstaaten angehören. Diese Ausnahmen treffen zu, soweit sie unter Verordnung z. B. der UNECE und IMO fallen.
  • Kunden- und anwendungsspezifisch angefertigte Erprobungsmodule, die von Fachleuten ausschließlich in Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen für ebensolche Zwecke verwendet werden.

Das Ziel der NRL

Das Ziel der NRL ist es, dass auf dem europäischen Markt ausschließlich elektrische Betriebsmittel bereitgestellt werden, die die Gesundheit und die Sicherheit von Mensch und Tier sowie Güter nicht gefährden. Hierzu müssen sie dem in der EU geltenden Stand der Sicherheitstechnik entsprechen. Eine Übersicht über die wichtigsten Angaben der Sicherheitsziele ist in Anhang I aufgeführt.

Hier wird in Gefahren die von den elektrischen Betriebsmitteln ausgehen können und Gefahren die durch äußere Einwirkungen auf Betriebsmittel entstehen können unterschieden.

Hinsichtlich der Gefahren, die von den elektrischen Betriebsmitteln ausgehen können (gem. Punkt 2 in Anhang I) sind die technischen Maßnahmen so zu wählen, dass Verletzungen und Schäden durch direkte oder indirekte Berührungen verhindert werden. Zwar wird dieser Punkt nicht weiter ausgeführt, ich vermute jedoch, dass er sich sowohl auf alle im Normalbetrieb spannungsführenden Teile als auch beispielsweise elektrisch leitende Gehäuseteile bezieht, die im Fehlerfall Spannung führen könnten. Um diese Ziele zu erreichen, bedient man sich beispielsweise einer geeigneten Isolierung spannungsführender Teile. Deren Wirkung wird beispielsweise im Prüfverfahren durch eine Isolationswiderstandmessung nachgewiesen. Wichtig dabei, gem. den Anforderungen dieses Anhangs müssen alle Isolationen den auftretenden Beanspruchungen standhalten. Eine Schutzabdeckung beispielsweise, die sich nach kurzem Betrieb ablöst und darunter liegende spannungsführende Teile freilegt, entspricht nicht den Anforderungen.

Des Weiteren dürfen keine Gefährdungen durch Temperaturen, Lichtbogen oder Strahlungen ausgehen.

Hinsichtlich der Gefährdungen durch Strahlung geht es ausschließlich um die Sicherheit von Personen sowie Haus- und Nutztieren, dabei geht es jedoch nicht um elektromagnetische Störungen im Sinne der EMV-RL. Gefährdende Strahlung kann beispielsweise beim elektrischen Schweißen entstehen. Die sehr hohen Anteile an ultravioletter Strahlung können sonnenbrandähnliche Symptome auf der Haut oder gar Schädigungen der Augen hervorrufen. Ein anderes Beispiel ist die Strahlung, welche beim Betrieb von Röntgenanlagen entsteht. Hierbei gelten allerdings weitaus spezifischere Vorschriften.

Es geht aber in Punkt 2 nicht nur um die Gefahren die direkt aus dem elektrischen Strom resultieren, sondern auch auch darum, dass – Zitat:

Menschen, Haus- und Nutztiere und Güter angemessen vor nicht elektrischen Gefahren geschützt werden, die erfahrungsgemäß von elektrischen Betriebsmitteln ausgehen;

Hierunter dürften vermutlich Gefahren durch beispielsweise sich bewegende Teile (Messer, Bohrfutter) fallen.

Punkt 3 also Gefahren die durch äußere Einwirkungen auf Betriebsmittel entstehen können fordert im Wesentlichen, das die elektrischen Betriebsmittel so beschaffen sein müssen, dass sie allen mechanischen und nicht mechanischen Beanspruchungen und Einwirkungen so standhalten, dass vom Betriebsmittel keine Gefahren ausgehen. Hiermit ist beispielsweise gemeint, dass das Gehäuse des Betriebsmittels so beschaffen sein muss, dass es allen mechanischen Einflüssen standhält. Daher werden wohl an ein Gehäuse für eine Handbohrmaschine zum Einsatz auf Baustellen andere Anforderungen gestellt als an ein Gehäuse für einen Haarföhn.

Hinsichtlich der nicht mechanischen Einflüsse muss das Gehäuse das Innenleben des Betriebsmittels aber auch vor eindringender Feuchtigkeit wie Regen, oder vor Staub, Metallspänen etc. schützen. In diesem Zusammenhang begegnet einem sehr schnell die sog. IP-Schutzart. IP steht für Ingress Protection (Schutz gegen Eindringen) und steht in direkter Verbindung zur DIN EN 60529.

Und auch gegen Überlastung sind geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Zu einer Überlastung kann es beispielsweise kommen, wenn der Leiterquerschnitt der Zuleitung nicht in technisch korrekten Verhältnis zum Strombedarf des elektrischen Betriebsmittels steht. Dies kann im Betrieb dann schnell zur unzulässigen Erwärmung der Gerätezuleitung und in der Folge zu Kurzschluss, Brand und Stromschlaggefahr führen.

Fazit

Halten wir also fest:

Die Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU ist eine horizontal wirkende Richtlinie. Sie ist Voraussetzung dafür, dass elektrotechnische Produkte in der EU überhaupt erst in Verkehr gebracht werden dürfen.

Die NRL gilt für alle elektrischen Betriebsmittel, die in einem Bereich zwischen 50 V und 1.000 V Wechselspannung oder zwischen 75 V und 1.500 V Gleichspannung betrieben werden. Ausnahmen hiervon sind in Anhang II aufgeführt

Hinsichtlich elektrotechnischer Geräte greifen neben der NRL auch weitere Richtlinien und Verordnungen wie beispielsweise die Verordnung zur Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (ElektrStoffV) oder das Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG).

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