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EMV #002 Elektromagnetische Verträglichkeit – Teil 2

EMV #002 Elektromagnetische Verträglichkeit – Teil 2

Rufen wir uns noch einmal ins Gedächtnis, was die EMV-Richtlinie fordert:

Laut Artikel 1 soll das Funktionieren des Binnenmarktes für elektrische Betriebsmittel dadurch gewährleistet werden, dass ein angemessenes Niveau der elektromagnetischen Verträglichkeit festgelegt wird.

Konkreter wird die Richtlinie in Anhang I, Abs. 1:

Betriebsmittel müssen nach dem Stand der Technik so entworfen und gefertigt sein, dass

a) die von ihnen verursachten elektromagnetischen Störungen keinen Pegel erreichen, bei dem ein bestimmungsgemäßer Betrieb von Funk- und Telekommunikationsgeräten oder anderen Betriebsmitteln nicht möglich ist;

b) sie gegen die bei bestimmungsgemäßem Betrieb zu erwartenden elektromagnetischen Störungen hinreichend unempfindlich sind, um ohne unzumutbare Beeinträchtigung bestimmungsgemäß arbeiten zu können.

Kurz gefasst: Elektrische Betriebsmittel dürfen weder den Betrieb anderer Betriebsmittel sowie Funk- und Telekommunikationsgeräte stören, noch von ihnen gestört werden.

Wichtig dabei: Die EMV-RL regelt bislang keine Aspekte der Sicherheit. Diese Aufgabe übernehmen beispielsweise die NSR oder die Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG. Da elektromagnetische Störungen durchaus zu Sicherheitsproblemen führen können, so z. B. in Maschinensteuerungen der Robotik, sind in dieser Hinsicht weitere Normen wie die DIN EN 61000-1-2 bzw. DIN EN 61508 zu beachten. Um diese soll es in diesem Podcast allerdings nicht gehen.

Was fordert die EMV-RL?

Zuerst einmal lässt sich sagen, dass jedes Betriebsmittel, welches elektronische bzw. elektrische Bauteile enthält, unter die EMV-RL fällt. Damit wäre es eigentlich auch unerheblich ob das Betriebsmittel mit 400 V, 230 V oder nur 9 V – z. B. aus einer Batterie – betrieben wird, denn auch batteriebetriebene Geräte können durchaus elektromagnetische Störungen verursachen.

Nun definiert die EMV-RL einige Ausnahmen. Eine davon beschäftigt sich explizit mit der Stärke der ein- bzw. ausgehenden Störungen. Danach sind vom Geltungsbereich der EMV-RL nach Art. 2 Abs. 2 lit. d) alle Betriebsmittel ausgenommen die – Zitat:  aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften

i einen so niedrigen elektromagnetischen Emissionspegel haben oder in so geringem Umfang zu elektromagnetischen Emissionen beitragen, dass ein bestimmungsgemäßer Betrieb von Funk- und Telekommunikationsgeräten und sonstigen Betriebsmitteln möglich ist, und

ii. unter Einfluss der bei ihrem Einsatz üblichen elektromagnetischen Störungen ohne unzumutbare Beeinträchtigung betrieben werden können.

In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung zur ersten Folge dieser kleinen Podcastreihe: Ich erwähnte dort auch Funkanlagen als Quelle elektromagnetischer Störungen.

Funkanlagen die der Funkanlagenrichtlinie unterliegen, sind von der EMV-RL ausgenommen (s. Art. 2, Abs. 2 lit. a).

Da sie jedoch ebenfalls eine Quelle elektromagnetischer Störungen sein können gilt für sie folgendes:

Entsprechend Nr. 8 der Erwägungsgründe der Funkanlagenrichtlinie sind für Funkanlagen die in der EMV-RL aufgeführten Anforderungen hinsichtlich der elektromagnetischen Verträglichkeit ausreichend. Daher ist in der Funkanlagenrichtlinie auf die EMV-RL zu verweisen und ihre Anwendungen vorzusehen.

Somit macht die Funkanlagenrichtlinie gem. Artikel 3, Abs. 1 lit. b die Vorgabe, dass bei Funkanlagen durch ihr Baumuster gewährleistet sein muss, dass ein angemessenes Niveau an elektromagnetischer Verträglichkeit gemäß der EMV-RL eingehalten wird.

In Bezug auf alle anderen Anforderungen soll die EMV-Richtlinie jedoch nicht für Funkanlagen gelten, woraus sich ergibt, dass in Konformitätserklärungen gem. der Funkanlagenrichtlinie nicht auf die EMV-Richtlinie zu verweisen ist.

Kurzgefasst: Für Funkanlagen hat die EMV-RL ausschließlich Bedeutung hinsichtlich der An-forderungen an die elektromagnetische Verträglichkeit.

Eine Kategorie von Produkten, die ebenfalls nicht unter die EMV-RL fallen und mit der wir als technische Redakteure auch in Berührung kommen, sind die kunden- oder anwendungsspezifisch erstellten Erprobungsmodule. Die Vorgaben hierzu sind sehr eng, daher betreffen sie nur Produkte die in einer entsprechenden Einrichtung wie einem Entwicklungs- oder Forschungslabor zum Zweck der Entwicklung und Erprobung eingesetzt werden. Unter anderem ist zu beachten, dass dieses Produkt nur für ein bestimmtes Projekt verwendbar ist.

In dem Moment allerdings, wenn es regulär auf dem Markt bereitgestellt ist – also quasi das Entwicklungslabor verlässt – verliert es diesen Status und unterliegt wieder den entsprechenden Richtlinien.

Es gibt hinsichtlich der Anwendbarkeit der EMV-Richtlinie noch einiges mehr zu beachten und da die Bestimmung ob ein Betriebsmittel unter den Anwendungsbereich der EMV-RL fällt nicht immer ganz einfach ist, empfiehlt es sich, auf den „Leitfaden zur Anwendung der EMV-Richtlinie“ zurückzugreifen. Dieser stellt mit 5 Einzel- bzw. einem Gesamtablaufdiagramm eine nützliche Hilfe bei der Einordnung dar.

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Was fällt unter die EMV-RL – das Prüfverfahren

Mit dem ersten Ablaufdiagramm wird ermittelt, ob die EMV-RL überhaupt auf ein Produkt anzuwenden ist. Dies ist der Fall, wenn

  • das Produkt elektrische bzw. elektronische Komponenten enthält
  • es nicht von der Anwendung der EMV-RL ausgenommen ist
  • es nicht anderen Richtlinien unterliegt, die konkretere Anforderungen an die elektro-magnetische Verträglichkeit stellen als die EMV-RL und
  • wenn das Produkt auch wirklich elektromagnetische Störungen aussendet.

Bereits diese Bewertung jedoch ist auch mit dem Ablaufdiagramm dann schwierig, wenn der Beurteiler in der technischen Redaktion nicht über ausreichend Kenntnisse zum Produkt verfügt. Und dies beispielsweise bereits bei einem – scheinbar – so einfachen Produkt wie einer LED-Leuchte, LED-Taschenlampe oder einer Touch-Nachtischleuchte wie sie heute Standard sind. Hier geht der Laie in der Regel vermutlich nicht davon aus, dass Störungen entstehen können. Und doch enthalten die meisten von Ihnen einiges an Elektronik wie etwa Spannungsregler oder LED-Treiber die durchaus Potenzial haben können, erhebliche elektromagnetische Störungen zu verursachen.

Besitzen Sie noch ein altes Transistorradio mit Lang-, Mittel- oder Kurzwellenempfangsteil? Wenn Sie mögen, machen Sie sich einmal den Spaß und halten Sie eine eingeschaltete moderne LED-Taschenlampe in die Nähe ihres Radios – vorzugsweise im Mittelwellenbereich. Während bei der Taschenlampe meist eine unmittelbare Nähe zum Radio vorhanden sein muss, reicht es bei den netzbetriebenen Touch-Leuchten manchmal schon aus, das Radio im selben Raum zu betreiben.

Gerät oder ortsfeste Anlage?

Nun ist zu ermitteln, ob es sich bei dem betreffenden Betriebsmittel um eine ortsfeste Anlage oder ein Gerät handelt. Beide Kategorien werden jeweils unterschiedlich in der EMV-RL behandelt. Hinsichtlich einer möglichen Einstufung als Gerät wird das Ablaufdiagramm 2 hinzugezogen. Hier spielen Prüfpunkte wie die Frage

  • ob das Produkt für einen Endnutzer vorgesehen ist oder nicht
  • ob es für den Einbau in ein Gerät vorgesehen ist oder nicht
  • ob es sich um einzelne Bauteile bzw. Baugruppen oder um einen fertigen Apparat handelt

eine Rolle.

So würde in einem sehr einfachen Fall ein fertiger Apparat wie ein Mikrowellengrill, der im Kaufhaus für jeden frei zu erwerben ist als Gerät im Sinne der EMV-RL gelten.

Hierbei ist zu beachten, dass sowohl eine natürliche Person wie Sie und ich als auch Ihr Unternehmen, für das Sie tätig sind als Endnutzer im Sinne des Leitfadens gelten.

Und da aufgrund des technischen Konzeptes des Mikrowellengerätes davon auszugehen ist, dass es in der Lage ist elektromagnetische Störungen zu emittieren, ist es ohnehin ein Fall für die EMV-RL.

Aber auch die bereits erwähnte LED-Taschenlampe fällt vermutlich unter diese Richtlinie, es sei denn, der von der LED-Taschenlampe emittierte Störpegel ist so niedrig, dass er nicht das Potenzial hat den bestimmungsgemäßen Betrieb anderer Geräte zu stören.

Ob und in welchem Umfang ein Betriebsmittel elektromagnetische Störungen verursacht und ob diese ein entsprechendes Störpotenzial haben, ist verbindlich jedoch nur über entsprechend qualifizierte Messlabore prüfbar.

Allerdings sind solche Prüfungen unter Einbeziehung Dritter wie einer notifizierten Stelle oder eines Prüflabors von der EMV-RL selbst nicht zwingend vorgeschrieben.

Wie ist hier also vorzugehen?

Der Nachweis ob ein Betriebsmittel die Anforderungen der EMV-RL gem. Anhang I erfüllt, ist mittels der in Anhang II und III beschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren zu erbringen. Hierbei ist auch nachzuweisen, ob die geltenden harmonisierten Normen eingehalten wurden. Man kann in diesem Zusammenhang wohl sagen, dass nur die strikte Einhaltung der für ein Produkt geltenden Normen dazu führt, den Anforderungen hinsichtlich elektromagnetischer Verträglichkeit zu genügen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die meisten Normen im Bereich elektromagnetischer Verträglichkeit entsprechende Mess- und Prüfverfahren vorsehen, die es einzuhalten gilt.

Auch wenn also die EMV-RL die Durchführung von Messungen und Prüfungen nicht direkt vorschreibt, sind sie dennoch anzuwenden. Und dies ist nach meiner Auffassung auch gut so, denn auch wenn ein Hersteller alle normativen Vorgaben hinsichtlich der Fertigung eines Produktes präzise befolgt, wird er in vielen Fällen dennoch nicht sicher sein können, dass die vorgesehenen Grenzwerte eingehalten werden.

Hier können verschieden Faktoren eine Rolle spielen, so z. B. die Wertetoleranzen bei elektronischen Bauteilen oder das Zusammenwirken eines Produktes mit anderen Komponenten. Und dabei sollten wir nicht vergessen, dass die einzuhaltenden Vorgaben nicht nur für die Störaussendungen eines Produktes, sondern auch für seine Störfestigkeit gelten.

Sind Sie sich eigentlich im Klaren darüber welchem elektromagnetischen Störteppich wir modernen Menschen heute quasi rund um die Uhr ausgesetzt sind? Damit komme ich nochmal auf das alte Transistorradio zurück: Wenn Sie Zeit und Muße haben machen Sie doch einmal folgendes Experiment (je mehr aktive Elektronik Sie in Ihrem häuslichen Umfeld haben und je tiefer Sie in einem urbanen Umfeld wohnen umso besser): Schalten Sie am Abend Ihr Radio ein (vorzugsweise den Mittelwellen- aber auch den Lang- und Kurzwellenbereich) und drehen Sie einmal über die gesamte Skala. Gehen Sie auch ruhig mal vor das Haus und laufen Sie an den Nachbarhäusern vorbei. Merken Sie sich dabei gut, was sie so alles zu hören bekommen. Kleiner Spoiler: Nahezu alles, was dort brummt, knarrt, zwitschert, pfeift oder vernehmlich rauscht sind die kleinen und großen elektronischen Gizmos die unser Leben heute so einfach machen. Angefangen vom Schaltnetzteil des heimischen Routers oder Laptops über die dimmbare LED-Beleuchtung bis zum Fernsehapparat, der Computeranlage oder anderen Gerätschaften.

Und dann, dann fahren Sie mal bei passender Gelegenheit weit raus aufs Land, möglichst weit ab von jeder menschlichen Ansiedlung und wiederholen Sie dort das Experiment.

Die ortsfeste Anlage

Zur Prüfung, ob wir es mit einer ortsfesten Anlage im Sinne der EMV-RL zu tun haben, bedient man sich dem – sehr kurz gefassten – Ablaufdiagramm 4. Diese Prüfung findet allerdings ihren Ursprung bereits im Ablaufdiagramm 2, nämlich dort wo es darum geht, ob das Produkt für die Installation vorgesehen ist. Ist das Produkt für einen dauerhaften Betrieb an einem bestimmten Ort bestimmt, gilt es als ortsfeste Anlage und ist nach den anerkannten Regeln der Technik zu installieren

Zum Abschluss noch etwas aus der Rubrik „Sachen gibt es ….“

Ein besonderes Beispiel, was hinsichtlich elektromagnetischer Störungen möglich ist, ging vor kurzem durch die Presse: Es ging um den Bürostuhl eines bekannten schwedischen Möbelhauses und seine scheinbare Auswirkung auf einen Computermonitor. Dieser nämlich ging jedes Mal aus, wenn der Benutzer auf dem Stuhl Platz nahm oder sich von diesem erhob. Man ist mittlerweile zu der Auffassung gekommen, dass elektrostatische Entladung (ESD) für dieses Phänomen verantwortlich ist.

Obwohl dieses Beispiel vermutlich bei vielen von Ihnen ein lächelndes Kopfschütteln auslösen dürfte (mir ging es jedenfalls so) hat diese ganze Geschichte durchaus einen ernsten Aspekt:

Auf der einen Seite haben wir ein Produkt, dass offensichtlich für wohl nicht unerhebliche elektrostatische Entladungen verantwortlich ist auf der anderen Seite ein Produkt, das sich von solchen Ereignissen gehörig beeinflussen lässt. Nun dürfte klar sein, dass besagter Bürostuhl kaum unter die EMV-RL fällt. Wie wir wissen, fehlt ihm dazu mindestens eine Voraussetzung: Er besitzt keine elektrischen oder elektronischen Komponenten.

Auf der anderen Seite haben wir einen Monitor, der ESD-Phänomene zum Anlass nimmt mit Funktionsstörungen zu reagieren. Vorausgesetzt, es gelten für Bürostühle hinsichtlich ESD-Phänomenen nicht doch produktspezifische Normen, scheint der Fall klar: Hier erfüllt der Monitor nicht die Anforderungen an die elektromagnetische Verträglichkeit.

Wie würden Sie entscheiden?

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