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TEKOM #004 – Mehrere Normen gleichzeitig anwenden

Mehrere Normen anwenden

Wir werden uns heute mit einem Fall beschäftigen, der viele von Ihnen spätestens im nächsten Jahr oder in den kommenden Jahren beschäftigen wird. Und zwar wenn der Fall eintrifft, dass Sie mehrere, ähnliche Normen gleichzeitig anwenden müssen, die sich gegenseitig widersprechen oder es zumindest Unterschiede in den einzelnen Normen gibt. Da der Schwerpunkt des Podcasts auf der Technischen Dokumentation liegt, schauen wir uns den Fall im Hinblick auf Normen aus diesem Bereich an.

Wie alle Folgen dieser Reihe, setzt auch diese Folge kein Wissen aus den anderen Folgen unseres Podcasts voraus. Sie sollten sich jedoch im Themengebiet der technischen Dokumentation auskennen, um alles im Detail verstehen zu können. Falls Sie am Anfang Ihrer Karriere der technischen Dokumentation stehen, empfehle ich Ihnen daher sich auch die anderen Folgen anzuhören, damit Sie die Zusammenhänge alle im Detail verstehen können.

Zu viele Normen zu einem Thema – oder gar keine?

Viele von Ihnen werden die Situation kennen. Die Normenrecherche ergibt eine Liste von geltenden Normen und Richtlinien, die für Ihr Produkt gelten und berücksichtigt werden müssen. Bei der Prüfung der Normen stellen Sie nun fest, dass Sie mehrere Normen haben, die einander ähneln und Vorgaben für Ihr Produkt beinhalten. Jedoch behandeln alle Normen dasselbe Thema, unter Umständen widersprechen sich die Normen sogar gegenseitig. Und was nun? Alle Normen können offensichtlich nicht eingehalten werden. Wenn Sie Norm A einhalten, verstoßen Sie gegen Norm B. Und viele Fragen sich in diesem Zuge auch, wie sieht es rechtlich aus? Wie interpretiert ein Gericht in einem Haftungsfall die Situation?

Um diese Frage zu klären oder zu erläutern, gab es eine Podiumsdiskussion auf der tekom-Tagung. Es wurden dabei mögliche Vorgehen aufgezeigt und auch die rechtliche Seite beleuchtet. Denn dieses Thema ist gerade auch wieder im Bereich der technischen Dokumentation hoch aktuell, da es auch hier eine Vielzahl an Normen gibt, die Inhalte und Anforderungen an die Nutzerdokumentation und andere Begleitdokumente haben. Nennen können wir hier die Normenreihe ISO IEC IEEE (ISO IEC EI TRIPPLE I) 26511 – 26516 für die Dokumentation von Software, die DIN EN ISO 82079 oder die kommende DIN EN ISO 20607.

Selbstverständlich gibt es auch die andere Seite: Sie sind in einer Branche tätig, die bestimmte Normen vorschreibt. Jedoch ist eine interessante oder zutreffende Norm nicht harmonisiert. So beispielsweise die DIN EN ISO 82079 für die Medizintechnik.

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Norm nicht angewendet, dann ein Haftungsfall. Was sagt der Richter?

Beginnen wir mit dem was Sie vermutlich am meisten interessiert. Sie haben die Wahl zwischen zwei Normen. Aufgrund der Aktualität des Themas nehmen wir hierzu nun die DIN EN 82079-1 und die kommende DIN EN ISO 20607. Wir entscheiden uns für die Anwendung der DIN EN ISO 20607 und ignorieren die DIN EN 82079-1. Aufgrund eines Fehlers in der Anleitung geschieht nun ein Unfall, wir, also das Unternehmen, steht vor Gericht. Wie sieht der Richter die Einhaltung der Normen bzw. die Nichteinhaltung der 82079-1?

Tja, die Antwort wird Sie überraschen. Das Gericht interessiert sich prinzipiell erstmal nicht für die Normen. Normen, Qualitätssigel oder auch Prüfsiegel haben keine Aussagekraft vor Gericht, es zählen nur Gesetze. Für das Gericht zählt in solchen Fällen erstmal nur die Frage „Wie hätte das Produkt sichergemacht werden können, um den Unfall zu vermeiden?“. Sprich es schaut sich nicht nur die Anleitung an, sondern auch das gesamte Produkt. Denn zu oft werden Risiken über die Anleitung mit Sicherheitshinweisen, ich sag mal, „behoben“, anstatt diese konstruktiv oder über Schutzeinrichtungen zu vermeiden.

Sollte also die Anleitung als „Schutzeinrichtung“ zweckentfremdet worden sein, ist es egal nach welcher Norm die Anleitung erstellt wurde. Der Hersteller hätte laut Produktsicherheitsgesetz die Risiken zuerst über konstruktive Maßnahmen oder Schutzeinrichtungen vermeiden müssen. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, darf der Nutzer über die Anleitung oder über Aufkleber am Produkt über noch vorhandene Restrisiken informiert werden. Dies ist bereits der erste Fehler und der Hersteller haftet bzw. es sieht für uns schon mal schlechter aus.

Denn ein Hersteller von Produkten hat eine gewisse Sorgfaltspflicht gegenüber seinen Kunden und Nutzer, die er einhalten muss. Dazu gehört, das Produkt so sicher wie möglich zu gestalten. Unter diese Sorgfaltspflicht fällt auch die Einhaltung von Normen und Richtlinien, wodurch diese wieder für das Gericht interessant werden. Denn Normen und Richtlinien sollen den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik abbilden. Daher ist die Einhaltung von Normen wichtig.

Das blinde Befolgen von Normen

Jedoch schützt das Blinde einhalten von Normen auch nicht vor der Haftung. Normen sollen den aktuellen Stand der Technik abbilden. Jetzt ist eine Norm 10 Jahre alt. Stellt sie noch den aktuellen Stand dar? Ich glaube, Sie alle wissen wie schnell sich manche Bereiche weiterentwickeln. Dasselbe gilt für Normen. Manchmal ist der Fortschritt zu schnell und Normen veralten inhaltlich.

Auch darauf sollten Sie achten. Denn im Haftungsfall hilft es nicht, wenn Sie Sicherheitstechnik von 2010 verwenden, wenn es heute bessere Technik gibt. Sie haben immer das Recht, von der Norm abzuweichen, um es besser oder zuverlässiger zu machen. Hier spricht man von der Entscheidungshoheit des Herstellers. Nur der Hersteller entscheidet, wie sein Produkt sichergemacht wird.

Dies bedeutet für Sie und für uns, dass wir eine Normenrecherche durchführen müssen und die Normen im Anschluss lesen und interpretieren müssen. Dazu müssen Sie sich selbst Fragen stellen: Was wollte der Autor mit der Norm erreichen? Kann das Ziel heute besser erreicht werden? (also falls die Norm etwas älter ist).

Genau diesen Schritt wird auch das Gericht in einem Haftungsfall machen. Es wird die Norm lesen und interpretieren.

Was macht das Gericht, wenn zwei Normen sich widersprechen?

Kommen wir nun zu unserem ursprünglichen Fall zurück. Zur Erinnerung: Wir haben einen Haftungsfall, aufgrund eines Fehlers in der Anleitung. Die Anleitung haben wir nach DIN EN ISO 20607 erstellt und dabei die DIN EN 82079-1 komplett ignoriert. Wie geht nun das Gericht mit dieser Situation um? Nun wie gerade gesagt, es wird auch beide Normen lesen und für sich auslegen. Auch das Gericht wird sich mit der Frage beschäftigen, was die Autoren der Norm dachten bzw. erreichen wollten.

Jetzt kann es sein, dass Sie nun wegen der Ignorierung der DIN EN 82079-1 haften. Das Gericht könnte es so sehen, dass der Fehler vermieden hätte werden können, wenn beide Normen gleichzeitig, ergänzend angewendet worden wären.

Sollte das Gericht sich aufgrund der Normen nicht festlegen oder entscheiden können, wird es abwiegen, ob der Fehler unter Berücksichtigung der 82079-1 verhindert werden hätte können. Es kann sogar passieren, dass das Gericht zu gar keinem Resultat aufgrund der Normen kommt. Eventuell wird der Prozess mit einem Vergleich beendet, da der Hersteller aktuell nach dem Stand der Technik alles Mögliche getan hat, aber es halt trotzdem zu diesem Unfall kam.

Diese Möglichkeiten gibt es. Jedoch wird es selten dazu kommen, dass das Gericht mit den Normen nicht weiter kommt. In der Regel wird der Prozess bzw. die Schuldfrage bereits zuvor, bei der Prüfung des Produktes und der Anleitung entschieden. Oft liegen hier die Fehler, wodurch es zum Unfall kam. Beispielsweise weil die Anleitung trotz Einhaltung der Norm keine Aussage oder Hilfestellung für den Nutzer war und es gerade deshalb zum Unfall kam.

Zwei Normen – Die Qual der Wahl?

Wir wissen nun, wie das Gericht vorgeht. Aber vor Gericht geht es nur, wenn etwas passiert ist. Die für Sie wichtigere Frage wird wohl sein: „Was macht der Redakteur?“

Wie vorhin erwähnt muss der Redakteur die Normen genau wie das Gericht lesen und interpretieren. Dabei darf er die Normen nicht wortwörtlich nehmen, sondern muss diese auch kritisch hinterfragen. Wenn es besser Möglichkeiten zur Vermeidung von Risiken gibt, können diese angewendet werden. Hierbei ist es wichtig, dass dies auch entsprechend dokumentiert wird, beispielsweise im Zuge der Risikobeurteilung. So ist das Vorgehen auch nach einigen Jahren nachvollziehbar.

In unserem Beispiel mit den beiden genannten Normen, könnte der Vorgang beispielsweise so aussehen, dass wir die Anleitung nach der 82079 aufbauen und strukturieren, und über die 20607 verfeinern. Denn beide Normen ergänzen sich seit der Überarbeitung des Entwurfs der 20607. Die Widersprüche wurden dabei entfernt.

Die Norm schreibt aber Texte vor!

Kommen wir nun noch zu einem Sonderfall. Es gibt Normen, die Texte für Anleitungen vorschreiben. Meist sind dies Internationale Normen. Beispielsweise schreibt die Norm für Handkreissägen Texte von Sicherheitshinweisen vor. Müssen diese wörtlich übernommen werden?

Prinzipiell müssen die Texte aus Normen nicht übernommen werden. Teilweise gibt es auch Texte, da macht es gar keinen Sinn, da diese zu schlecht geschrieben sind oder gegen Formulierungsregeln verstoßen. Beispielsweise wenn Texte für Sicherheits- und Warnhinweise gegen gute Prinzipien wie das SAFE-Prinzip verstoßen. Der Sicherheitshinweis wäre durch die Einhaltung des Prinzips leserlicher und besser verständlich. Sprich auch hier gilt: Norm lesen, verstehen und interpretieren. Die Übernahme des Textes wortwörtlich hilft im Haftungsfall nicht, da man es besser hätte machen können.

Jedoch kann diese Übernahme dennoch sinnvoll sein. Gerade einige Zertifizierungen fordern die Einhaltungen von Normen. Hier dann von Texten abzuweichen, kann zu Schwierigkeiten bei der Zertifizierung führen. Es muss also gründlich abgewogen werden, ob von einer Norm abgewichen werden kann oder nicht. Wichtig ist auch immer, das ganze entsprechend zu dokumentieren.

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Die wichtigsten 6. Punkte zur Prüfung von Betriebsanleitungen in der technischen Dokumentation.
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  • Nachvollziehbare Handlungsanweisungen
  • Korrekt gestaltete Warnhinweise
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Die Glaskugel – Ausblick in die Zukunft

In diesem Zusammenhang wird es auch spannend, sobald die ISO 20607 veröffentlicht und für Produkte angewendet wird. Auch sie schreibt Texte, Inhalte und Strukturen für Anleitungen vor, um so ein „Kochrezept“ für die Maschinenbauer darzustellen. Sollte hier aufgrund der Übernahme dieses „Kochrezeptes“ dann ein Haftungsfall entstehen, wird es spannend zu sehen, wie die Juristen mit der Norm umgehen und wie oder ob sich die Norm dann in den nächsten Jahren verändern wird.

Auch die Weiterentwicklung der Normen und Richtlinien bleibt spannend. Die digitale Dokumentation bzw. die papierlose Dokumentation hält in einigen Normen und Richtlinien bereits Einzug, wurde aber noch nicht offiziell seitens der Gesetzgeber als vollwertiger Papierersatz bestätigt. Sobald dies jedoch geschieht, haben wir beispielsweise die nächste Überschneidung von Normen, da für Softwaredokumentation dann beispielsweise noch die Normenreihe ISO IEC IEEE (ISO IEC EI TRIPPLE I) 26511 – 26516 hinzukommt.

Wir sind nun wieder am Ende des heutigen Podcasts und somit am Ende unserer heutigen Folge. Ich hoffe, Ihnen hat diese Folge gefallen. Nächste Woche geht es nochmals mit weiteren, aktuellen Themen von der tekom weiter, bevor wir dann in die Weihnachtspause gehen.

Sollten Sie Anregungen oder Fragen zu dem Thema haben, schreiben Sie diese bitte in die Kommentare oder lassen Sie uns diese per E-Mail zukommen. Ich freue mich schon auf nächste Woche und hoffe, Sie sind auch dort wieder dabei.

Herzlichen Dank fürs Zuhören, bis zur nächsten Woche.

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