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MED#003 Wie sinnvoll ist die Anwendung der DIN EN 82079-1 für Medizinprodukte?

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Die DIN EN 82079-1 kann für alle Arten von Produkten angewendet werden. Also auch für Medizinprodukte. Doch wie sinnvoll ist dies überhaupt? Gibt es Anforderungen an Medizinprodukte, die die Norm nicht erfüllt? Oder vielleicht sogar Punkte, der sie widerspricht? Wir schauen uns die Norm aus Sicht der Medizinprodukteverordnung an und klären diese Fragen.

Die DIN EN 82079-1 „Erstellen von Gebrauchsanweisungen“

Redakteure, Produktentwickler oder Startups haben meist dasselbe Problem. Der Gesetzgeber fordert produktbegleitende Informationen vom Hersteller für den Anwender. Egal ob diese nun als „Gebrauchsanweisung“, „Betriebsanleitung“, „Betriebsanweisung“ oder einfach nur als „Information“ betitelt werden. Doch welche Informationen müssen überhaupt in diese Dokumente?

Seitens der Normen und Richtlinien gab es hierfür ursprünglich als Antwort die DIN EN 62079-1 „Erstellen von Anleitungen“, die 2001 erschien. Diese bekam 2012 / 2013 einen Nachfolger, die DIN EN 82079-1, welche wiederum dieses oder nächstes Jahr eine Überarbeitung bekommt. Und der Geltungsbereich dieser Norm deckt quasi von der Farbdose bis zur hallenfüllenden Industrieanlage alle Produkte ab.

Diese Norm kann auch für Medizinprodukte angewendet werden, denn diese werden von der Norm nicht ausgeschlossen. Doch erfüllt die DIN EN 82079-1 überhaupt die Anforderungen für Medizinprodukte? Ist es sinnvoll diese Norm überhaupt zu berücksichtigen?

Die verschiedenen Anforderungen

Wie in den anderen Folgen dieser Reihe erwähnt, fordert die Medizinprodukteverordnung eine sogenannte Gebrauchsanweisung. Damit ist die produktbegleitende Information gemeint, die der Hersteller dem Anwender zur Verfügung stellt, um die korrekte Verwendung und Zweckbestimmung sicherzustellen und den Anwender eventuell über Vorsichtsmaßnahmen und Risiken zu Informieren. Ich verwende die unterschiedlichen Begriffe wie Gebrauchsanweisung oder Gebrauchsanleitung in dieser Folge synonym, da sich diese alle dieselbe Art von Information beziehen. Außerdem werde ich einfachheitshalber auch die Medizinprodukteverordnung mit MDR abkürzen.

Im medizinischen Bereich stellt dabei nicht nur die MDR Anforderungen an die Gebrauchsanweisung. Weitere Anforderungen kommen dort von der IEC 62366-1, der IEC 60601-1, der DIN EN 1041, der Invitro Diagnostik Verordnung oder der Verordnung 207/2012 für elektronische Gebrauchsanweisungen. Hinzu kommen noch weitere, produktspezifische Normen und Richtlinien, die vom Produkt abhängig sind und die ich daher hier nicht aufführe.

Aufgrund dieser Fülle an Normen und Richtlinien ist die Durchführung einer Normenrecherche umso wichtiger. Nur mit ihr können alle zutreffenden Vorschriften, Normen und Gesetze ermittelt und berücksichtigt werden. Für die Normenrecherche haben wir ebenfalls eine eigene Podcast-Reihe, diese sind mit dem Kürzel „NORM“ gekennzeichnet. Sollten sie sich damit beschäftigen oder demnächst beschäftigen müssen, empfehle ich Ihnen diese Reihe anzuhören.

Zu den genannten Normen und Richtlinien kommen außerdem Normen und Leitfäden hinzu, die Festlegen wie Gebrauchsanweisungen zu schreiben sind. Hierzu gehört eben unsere wichtige Norm DIN EN 82079-1. Außerdem möchte ich hier noch die AAMI TIR 49 „IT-Sicherheit und Risikomanagement“ sowie die Normenreihe ANSI Z535 nennen, zwei amerikanische Normen bzw. Normenreihe die konkrete Hinweise zur Gestaltung von Gebrauchsanweisungen geben und weltweit wichtig und anerkannt sind.

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Verzicht auf die Gebrauchsanweisung

Aufgrund dieser langen Liste stellt man unweigerlich Fest, dass die DIN EN 82079-1 nur ein Teil für die Erstellung von Gebrauchsanweisungen ist und viele weitere Regularien berücksichtigt werden müssen. Bevor Sie jetzt aber damit beginnen, eine Gebrauchsanweisung für Ihr Medizinprodukt zu erstellen, sollten Sie erst einmal klären, ob diese überhaupt notwendig ist und in welcher Form sie gefordert wird.

Im Gegensatz zu vielen anderen Richtlinien und Verordnungen erlaubt die MDR nämlich unter bestimmten Umständen den kompletten Verzicht auf eine Gebrauchsanweisung oder erlaubt die Bereitstellung in elektronischer Form. Dann entfällt die vielgehasste Papierform.

Laut MDR kann auf eine Gebrauchsanweisung kann bei Produkten der Klassen I und IIa verzichtet werden, wenn eine sichere Anwendung der Produkte ohne Gebrauchsanweisung gewährleistet ist und falls keine andere Richtlinie dem widerspricht. Die Definition der Klassen finden Sie in der MDR. Dies ist eine wichtige Information, denn sie kann in der Tat eine große Menge an Arbeit und Kosten einsparen.

Daneben kann es sein, dass die MDR es erlaubt, dass die Gebrauchsanweisung nur elektronisch zur Verfügung gestellt werden muss. In diesem Fall kann die Papierform entfallen und Druckkosten werden eingespart. Auch dies ist in einzelnen Fällen möglich und sollte überprüft werden, damit Art und Struktur der Anleitung auch dafür geeignet ist.

Geforderte Inhalte von Gebrauchsanweisungen

Sollten Sie für Ihr Produkt nun eine Gebrauchsanweisung benötigen, egal ob elektronisch oder in Papierform, werden sie nach dem Sichten und Zusammentragen der Anforderungen der Normen und Richtlinien eine große Liste an benötigten Informationen bekommen. Diese müssen dann in der Anweisung vorkommen.

Dazu gehören beispielsweise: (natürlich nur falls zum Produkt zutreffend)

  • Allgemeine Informationen
    • Informationen zum Produkt
      • Name, Handelsname
      • Identifikation (z.B. Bestellnummer oder Artikelnummer)
      • Hinweise zu Produktvarianten
      • Hinweise zu erlaubtem Zubehör
      • Beschreibung von Schnittstellen, Bilder etc.
    • Informationen zum Hersteller (Name, Anschrift, Kontaktdaten)
    • Ausstellungsdatum (Datum letzte Überarbeitung) und eine Kennnummer des Dokumentes
  • Zweckbestimmung des Produkte (oder auch Bestimmungsgemäße Verwendung)
  • Hinweise zur sicheren Anwendung des Produkts
    • Informationen zur Bedienung
    • Anforderungen an den Bediener (Ausbildung, Kenntnisse, Training)
    • Informationen zur Indikationen (Informationen wann eine die Anwendung angemessen ist)
    • Informationen zu Ort, Dauer, Häufigkeit der Anwendung
    • Informationen zu Kontraindikationen und Ausschlüsse (Informationen wann eine Anwendung nicht angewendet werden sollte)
    • Informationen zur Nutzungsumgebung (z.B. Temperatur, Feuchtigkeit, Helligkeit, elektromagnetische Strahlung, Druck, Höhe über Meeresspiegel)
  • Weitere Hinweise zum sicheren Umgang z.B.
    • Lagerung, Transport, Haltbarkeitsdauer
    • Installation, Anschlussmethoden, Anschlüsse u.a. an Versorgungsnetze
    • Kombination mit anderen Produkten inkl. Zubehör
    • Wartung, Reparatur
    • Kalibrierung, Überprüfung
    • Reinigung, Desinfektion, Sterilisation
    • Außerbetriebnahme
  • Technische Daten, Leistungsdaten, Messgenauigkeiten
  • Hinweise über Nebenwirkungen und Restrisiken
  • Hinweise bei besonderen Produkten (Implantation, Strahlung, Arzneimittel, Materialien tierischen oder menschlichen Ursprungs)
  • Definition von Symbolen und Identifizierungsfarben, wenn diese nicht aus einer anwendbaren harmonisierten Norm stammen (Das betrifft auch die Symbole auf dem Label, nicht nur die auf dem Gerät selbst)
  • Besondere Hinweise wie „steril“, „zum Einmalgebrauch“, „Sonderanfertigung“, „nur für klinische Prüfung“
  • Angaben zur CE-Kennzeichnung
  • Angaben, wo der Kurzbericht zur Sicherheit und klinischen Leistungsfähigkeit (in der EUDAMED) verfügbar ist (nur Klasse III Produkte)

Kenner der DIN EN 82079-1 werden in dieser Liste bereits auch einige Punkte entdecken, die von der DIN EN 82079-1 ebenfalls gefordert werden, aber teilweise dort anders benannt sind. So spricht die DIN EN 82079-1 beispielsweise von Informationen zur „bestimmungsgemäßen Verwendung“ und „vorhersehbaren Fehlanwendung“, was in dieser Liste mit der Zweckbestimmung und den Angaben zur Anwendung gleichzusetzen ist.

DIN EN 82079-1 für Medizinprodukte anwenden?

Aufgrund dieser teilweise unterschiedlichen Bezeichnungen von Inhalten und Anforderungen sollten jedoch auf jeden Fall die Bezeichnungen aus den jeweiligen Regularien verwendet werden anstatt der Bezeichnungen der DIN EN 82079-1. Die ausschließliche Berücksichtigung der DIN EN 82079-1 für Medizinprodukte kann außerdem dazu führen, dass das Produkt aufgrund der nicht korrekten Anleitung nicht zertifiziert und nicht für den Markt zugelassen werden kann.

Daher empfehlen wir die Anforderungen der unterschiedlichen Regularien zu erfüllen. Die DIN EN 82079 verwendet man dagegen nur ergänzend, da sie die Redakteure bei den Tätigkeiten der Erstellung unterstützt. Sie hilft dabei die Prozesse der Dokumentationserstellung zu regeln und zu standardisieren.

Ein wichtiger Punkt dabei ist die Erstellung der Anleitung unter Berücksichtigung der Anwender des Produktes. Dies bezeichnet man als Zielgruppenorientiertes Schreiben. Denn medizinisches Fachpersonal benötigt andere Informationen als der einfache Laien Anwender oder ein Servicetechniker.

Diese Strukturierung der Informationen gemäß DIN EN 82079-1, sowie die dort geforderte konsistente Darstellung von Elementen und Schreibweisen in Anleitungen sind wichtige Punkt für die Erstellung von Gebrauchsanweisungen. Dies gilt auch für Medizinprodukte, da dadurch die Verständnis der Anleitungen erhöht und das Lesen des Dokumentes vereinfacht wird.

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Ergänzende Punkte für Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte

Alles in allem kann man also festhalten, dass die DIN EN 82079-1 durchaus für Medizinprodukte geeignet ist. Zwar nicht direkt in Bezug auf die Inhalte und Bezeichnungen, sondern im Hinblick auf den Prozess der Erstellung der Dokumente. Denn nach wie vor ist es das wichtigste, das der Leser verständliche Informationen bekommt. Das reine Erfüllen der Normen, Richtlinien und Gesetze hilft nichts, wenn der Leser aufgrund eines unverständlichen Dokumentes verletzt oder Risiken ausgesetzt wird.

Gebrauchsanweisungen müssen wie Medizinprodukte auf Wirksamkeit überprüft werden

Zum Abschluss der Folge möchte ich noch auf Besonderheiten der Gebrauchsanweisung für Medizinprodukte eingehen, die auch genau damit zu tun haben. Die Normen IEC 62366 von 2006 und die IEC 62366-1 von 2015 legen nämlich fest (wie auch das Produktsicherheitsgesetz), dass die Gebrauchsanweisung Teil des Produktes ist.

Diese Normen behandeln dabei die Gebrauchstauglichkeit des Produktes. Dadurch muss auch die Gebrauchsanweisung die regulatorischen Anforderungen der Normen im Hinblick auf die Gebrauchstauglichkeit erfüllen. Die Anleitung muss also genau wie das Produkt selbst behandelt und überprüft werden.

Schwerpunkt legen die beiden Normen dabei auf die Wirksamkeit von Maßnahmen. Bei einer Gebrauchsanweisung bedeutet dies, dass die Hinweise und Informationen überprüft und deren Wirksamkeit bewertet wird. Professionell arbeitende Hersteller der Medizinbranche kombinieren dazu mehrere Methoden. Dazu gehören:

  • Befragungen der Anwender
  • Selbsteinschätzungen vom Hersteller oder Personal des Herstellers
  • Analyse von Rückmeldungen aus anderen Unternehmensbereichen wie Service/Hotline oder zu Vorgängerversionen der Produkte und Anweisungen
  • Usability Tests und Beobachtungen
  • Gutachten, Inspektionen, Überprüfungen durch externe Experten

Diese Punkte werden interessanter Weise auch bereits von der DIN EN 82079-1 gefordert. Denn sie sind ein wichtiger Bestandteil bei der Erstellung von Gebrauchsanweisungen. Nur durch diese Methoden kann sichergestellt werden, dass die begleitenden Unterlagen ihren Zweck erfüllen.

Häufige Fehler und Fehlerquellen bei der Erstellung der Dokumentation

Im Laufe meiner Tätigkeit als Berater, Prüfer und Ersteller von Gebrauchsanweisungen sind mir auch viele Fehler und Fehlerquellen aufgefallen, die in vielen Unternehmen geschehen. Dabei bezieht sich dies nicht nur auf Unternehmen der medizinischen Branche, sondern generell über alle Bereiche hinweg. Auch wenn Medizinprodukte aufgrund ihrer Art komplexer, gefährlicher und mit größeren Risiken verbunden sind, werden dort meist dieselben Fehler gemacht, wie bei Maschinenbauer und Anlagenhersteller. Vollständigkeitshalber möchte ich hier diese noch aufführen.

Zu den häufigsten Fehler gehört dass:

  • Die Anleitung inhaltlich falsch ist.
  • Wichtige Teile oder Kapitel der Anleitung fehlen.
  • Die Texte aufgrund von zu langen Sätzen unverständlich sind, zu passiv oder zu abstrakt formuliert sind. Meist weil versucht wird für alle möglichen Zielgruppen zu schreiben.
  • Keine Grafiken oder Bilder vorhanden sind.
  • Sicherheits- und Warnhinweis nur unzureichend beschrieben werden.
  • Sie nicht oder nicht mehr mit dem Produkt übereinstimmt.
  • Zu viele Produkte in einer Anweisung zusammengefasst werden.
  • Es unklar ist, zu welcher Produktvariante die Anweisung gehört.
  • Konsistente Terminologie fehlt und Begriffe nicht definiert werden.
  • Keine Struktur vorhanden ist, kein Inhaltsverzeichnis oder ähnliche Dinge, die dem Leser die Navigation durch das Dokument erleichtert.
  • Schriftgrößen zu klein sind, zu viele Formatierungen, Schriftarten oder ungeeignete Schriftarten verwendet werden.
  • Keine genormten Symbole verwendet werden.
  • Übersetzungen grauenhaft oder falsch sind.
  • Überflüssige Informationen wie Dankeswünsche oder Haftungsbegrenzungen das Dokument aufblähen.

Meist geschehen diese Fehler aus ganz einfachen Gründen:

  • Die Anleitungen werden von Entwicklern, Konstrukteuren oder anderem Personal „nebenbei“ erstellt, die Übersetzung ebenfalls vom Vertrieb der Englisch „kann“
  • Die Anleitung wird nicht von qualifiziertem Personal wie technischen Redakteuren erstellt
  • Es ist kein Prozess zur Erstellung von Dokumentation im Unternehmen festgelegt
  • Die Zielgruppe wird nicht ausreichend oder gar nicht berücksichtigt
  • Die Wirksamkeit der Anleitung wird nicht überprüft

Diese Fehlerquellen zeigen, dass bei vielen Unternehmen die Anleitung meist nur als ein notwendiges Übel wahrgenommen wird. Und dies auch in der Medizinbranche. In meiner Folge „Tekom Nr. 5 aktuelle Rechtsentwicklungen in der technischen Dokumentation“ erwähne ich ein Musterfall dafür. Es gab vergangenes Jahr einen Haftungsfall vor dem Landgericht Freiburg wegen einer OP-Anleitung für ein Hüftgelenk. Diesen Gerichtsprozess hat der Hersteller verloren, weil die Anleitung fehlerhaft war, da er sich nicht mit der Zielgruppe beschäftigt und die Wirksamkeit der Anleitung nicht, wie rechtlich gefordert, überprüft hat.

Wird eine Gebrauchsanweisung wie das übrige Produkte von Spezialisten und Profis erstellt, können solche Fälle verhindert und Produkthaftungsrisiken verringert werden. Eine Anleitung darf nicht noch „schnell“ am Ende der Entwicklung, während dem Verpacken und versenden des Produktes erstellt werden sondern sollte von vornherein miteinbezogen und geplant werden. Und genau dabei unterstützt die DIN EN 82079-1 auch in der Medizinbranche.

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