Das Thema KI ist nicht neu, wir haben uns bereits im letzten Jahr in einigen…
BF#002 Barrierefreiheit in der technischen Dokumentation – Teil 2
In der ersten Folge dieser kleinen Podcastreihe zur Barrierefreiheit in der technischen Dokumentation habe ich einige grundlegende Informationen zum Thema gegeben. Heute wollen wir etwas tiefer einsteigen.
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
Zuerst jedoch zu einem Gesetz, das ich in der ersten Folge noch nicht nannte – das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Worum geht es dabei?
Das Gesetz verpflichtet nahezu alle Wirtschaftsakteure dazu, Barrierefreiheitsanforderungen einzuhalten, wenn die von Ihnen angebotenen Produkte oder Dienstleistungen unter das BFSG fallen.
Dieses Gesetz wurde am 16. Juli 2021 verkündet und tritt am 28. Juni 2025 in Kraft.
Das ist noch ein wenig hin, aber es erscheint mir dennoch wichtig, sich bereits jetzt damit zu beschäftigen.
Wer und was ist vom BFSG betroffen?
Die Antwort finden wir in § 1 in den Absätzen 1, 2 und 3: Hiernach betrifft es alle Produkte und Dienstleistungen die nach dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht bzw. angeboten und in Absatz 3 erwähnt werden. Hierunter fallen beispielsweise künftig offensichtlich alle Hardwarekomponenten und Betriebssysteme für Computer im Verbraucherbereich, Verbraucherendgeräte für Telekommunikationsdienste, Verbraucherendgeräte die Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten bieten, E-Book-Lesegeräte und andere.
Übrigens: Nicht nur Hersteller, sondern auch Importeure dieser Produkte müssen dann die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen.
Aber es geht nicht nur um die Produktherstellung, auch wer Waren und Dienstleistungen elektronisch anbietet – also beispielsweise alle Online-Shops – haben dann die Anforderungen des BFSG zu erfüllen.
Übrigens: Wenn es um die Definition der Behinderung geht, lohnt sich ein Blick in den § 2 (die Begriffsbestimmungen). Im ersten Teil dieser Podcastreihe erwähnte ich die Definition nach dem SGB IX. Im BFSG nun liest sich das etwas anders. Menschen mit Behinderungen sind, Zitat: „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können; als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert;„
Der im SGB IX erwähnt zweite Satz, nachdem eine Beeinträchtigung vorliegt, wenn der Körper- oder Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, fehlt hier.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Aber auch im BFSG gibt es Ausnahmen:
Zum einen: Unternehmen mit einem Jahresumsatz von maximal 2 Millionen Euro bzw. einer Jahresbilanzsumme von höchstens 2 Millionen Euro, die ausschließlich Dienstleistungen erbringen und weniger als 10 Personen beschäftigen sind von diesem Gesetz ausgenommen.
Außerdem sehen die §§ 16 und 17 zwei Ausnahmetatbestände vor. So etwa, wenn die Einhaltung der Vorgaben eine grundsätzliche Veränderung eines Produktes oder einer Dienstleistung erforderlich machen würde oder eine unverhältnismäßige Belastung darstellen würde. Diese Beurteilung muss allerdings nach bestimmten Kriterien, die sich in der Anlage 4 des Gesetzes befinden, erfolgen.
Aber auch diejenigen die somit nicht vom BFSG betroffen sind, können möglicherweise aus wettbewerbstechnischer Sicht profitieren, wenn auch sie ihre Produkte barrierefrei herstellen – dies kann durchaus ein Marktvorteil sein.
CE-Kennzeichen
Das Thema Barrierefreiheit wirkt sich selbstverständlich auch auf die EU-Konformitätserklärung aus, da das BFSG nicht ein nur für Deutschland geschaffenes Gesetz ist, sondern die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act – EAA) darstellt.
Im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens ist dann auch nachzuweisen, dass die Barrierefreiheitsanforderungen gem. der nach §3 Abs. 2 zu erlassenden Rechtsverordnung erfüllt sind. In dieser Rechtsverordnung sollen u. a. die Gestaltung und Herstellung von Produkten und ihrer Benutzerschnittstellen und die Zugänglichkeit und Gestaltung von Angebot und Ausführung von Dienstleistungen geregelt werden.
Außerdem – und auch hier kommt wieder die technische Dokumentation ins Spiel – soll die Art und Weise wie Informationen zur Nutzung von Produkten – also u.a. unsere Bedienungsanleitungen – bereitzustellen sind, geregelt werden.
Übrigens: Bringt ein Hersteller seine Produkte bzw. Dienstleistungen – sofern sie dem BFSG unterliegen – auf den Markt, ohne dass sie die Barrierefreiheitsanforderungen des BFSG erfüllen, können Bußgelder bis zu 100.000 EUR verhängt werden.
Und: Nach § 32 BFSG können Verbraucher und Verbände die Marktüberwachungsbehörde auffordern, Maßnahmen gegen einen solchen Wirtschaftsakteur zu ergreifen.
Soweit ein Thema aus der nahen Zukunft.
Barrierefreiheit in der gedruckten Anleitung
Schauen wir uns nun an, wie wir Barrierefreiheit in unseren Informationsprodukten sicherstellen können.
Bereits im Teil 1 dieser kleinen Podcastreihe erwähnte ich die Zielgruppen und die Zielgruppenanalyse.
Dabei haben wir es eigentlich auch ohne eine tiefergehende Analyse fast immer mit mindestens drei Zielgruppen zu tun, für die Barrierefreiheit von Bedeutung ist: Dies sind behinderte Menschen, Senioren und diejenigen, die einer bestimmten Sprache nicht mächtig sind.
Während unter das BFSG auf Produktebene derzeit ausschließlich elektronische Artikel fallen, die dann wohl grundsätzlich barrierefrei konzipiert werden müssen, haben wir es bereits seit langem mit bewusst barrierefrei hergestellten Produkten für bestimmte Zielgruppen zu tun. Und zwar für Zielgruppen innerhalb einer oder mehrere Zielgruppen wie ich es einmal formulieren möchte. Betrachten wir hierbei beispielsweise diejenigen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Ob diese Menschen nun als behindert im Sinne des SGB IX gelten oder einfach nur aus Altersgründen auf den Rollstuhl angewiesen sind, spielt dabei keine Rolle.
Entscheidend ist, dass die Fortbewegung im Rollstuhl auch im häuslichen Umfeld durchaus eine große Herausforderung sein kann. So zum Beispiel, wenn es um die Benutzung des Waschbeckens im Badezimmer geht. Diese werden nach VDI 6000 Blatt 1 meist in einer Höhe zwischen 85 und 95 Zentimetern montiert. Eine Höhe, die für jemandem der im Rollstuhl sitzt, ein Problem darstellen kann. Nun könnte man natürlich das Waschbecken einfach tiefer montieren. Aber auch das ist nicht immer eine Lösung, denn nun ist es meist nicht mehr möglich, den Rollstuhl dicht genug an das Waschbecken zu fahren – er passt schlichtweg nicht mehr darunter.
Aus diesem Grund, bieten verschiedene Sanitärhersteller speziell gefertigte flache und unterfahrbare Waschbecken an, die zusätzlich mit Griffen versehen sind, so dass es der Person im Rollstuhl auch ohne Hilfe gelingt den Waschtisch bequem zu benutzen. Das ist Teil der Barrierefreiheit – ohne die Hilfe anderer etwas nutzen zu können. Und so gibt es heute für viele Anforderungen barrierefreie Produkte – passend zu meinem Waschtischbeispiel wäre noch eine Behindertengerechte Armatur zu nennen.
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Nun erwähnte ich im ersten Teil der Podcastreihe, dass das Produkt zu dem wir das Informationsprodukt erstellen, durchaus Auswirkungen auf die Ausführung des Informationsproduktes haben kann. Dies dürfte hinsichtlich des Waschtischbeispiels noch nicht der Fall sein, aber betrachten wir die sogenannten Seniorenhandys: Hierbei handelt es sich um Mobiltelefone oder Smartphones, die speziell auf die Anforderungen von Senioren abgestimmt sind. Leider verschlechtert sich bei vielen Menschen mit zunehmendem Alter die Sehkraft, das Hörvermögen, die Motorik nimmt ab und auch die kognitive Leistung kann sich verlangsamen. Diesen Einschränkungen tragen diese Produkte Rechnung in dem sie mit hellen und großformatigen Displays und leicht zu bedienenden großen Tasten ausgestattet sind. Die Benutzerführung ist zudem möglichst einfach gehalten und die Geräte sind meist auch so robust konstruiert, dass sie auch wiederholte Stürze unbeschadet überstehen. Im besten Fall verfügen sie darüber hinaus über einfach zu bedienende Notruffunktionen.
Hier haben wir nun ein Produkt, das aus meiner Sicht sehr starken Einfluss auf die Konzeption des dazugehörigen Informationsproduktes nimmt.
Welche Punkte gilt es also in besonderem Maße zu beachten?
Grundsätzlich sollten wir uns immer vor Augen führen, dass auch unser Informationsprodukt erheblichen Anteil an der Usability eines Produktes und an der Userexperience hat.
Bereits bei der Ausgabeform des Informationsproduktes wird man sich wohl sehr schnell für die klassische gedruckte Variante entscheiden, denn wir tun einem alten Menschen vermutlich kaum einen Gefallen, wenn wir es zum Download im Internet anbieten.
Aber auch bei der Printausgabe will vieles beachtet sein: Wer kennt sie nicht die Anleitungen die im Format A6 oder A7 auf Papier mit einer Grammatur von 60g/m² oder weniger gedruckt sind? Mancher Hersteller scheint solche Dünndruckheftchen sehr zu mögen, lassen sich so doch mehrsprachige Anleitungen bei kleinsten Abmessungen und Dicken produzieren, was Gewicht und Umverpackung spart.
Ich wage allerdings die Behauptung, dass sich ein alter Mensch über ein solches Werk kaum freuen wird.
Und: Bei Verwendung eines dünnen Basismaterials darf – abhängig vom Opazitätsgrad also vom Grad der Lichtundurchlässigkeit – möglicherweise auch nur mit geringen Schwärzungsgraden der Schrift gearbeitet werden, will man vermeiden, dass man quasi durch die Seiten „hindurchliest“. Menschen mit verminderter Sehkraft werden auch hiervon kaum begeistert sein, dessen bin ich mit sicher.
Hier sollten wir also eher erwägen, Papier mit einer Grammatur von mindestes 80g/m² – also das klassische Schreibmaschinen- bzw. Druckerpapier zu verwenden. Besser wären möglicherweise sogar noch 100 oder 120 g/m². Diese Papiere sind griffiger und zudem auch stabiler – die Haptik und die „Bedienung“ des Informationsproduktes sind damit deutlich gesteigert.
Obwohl es eigentlich in der technischen Dokumentation kein wirkliches Thema ist, möchte ich in diesem Zusammenhang den Begriff Kontraste erwähnen. In den meisten Fällen wird man – nicht zuletzt aus Kostengründen – schwarze Schrift auf weißem Grund für das Druckwerk bevorzugen. Dennoch mag der eine oder andere Hersteller – möglicherweise aus Marketinggründen – vielleicht darüber nachdenken von diesen Standardausgaben abzuweichen.
Hier sei auf die Website Contrast Checker verwiesen. Diese ist zwar in erster Linie für die Verwendung im Webdesign (ein Thema, das ich in einer späteren Folge behandeln will) gedacht. Als kleiner notwendiger Vorgriff sei jedoch erwähnt, dass im Zusammenhang mit digitaler Barrierefreiheit drei Konformitätsstufen, nämlich A, AA und AAA existieren. Hierbei stellt die Stufe A die niedrigste Stufe der Barrierefreiheit und damit auch die Mindestanforderungen dar. Die Stufe AAA hingegen als höchste Bewertung definiert den Zustand der höchstmöglichen Barrierefreiheit. Der Contrast Checker bewertet die vom Benutzer vorgegebene Kombination aus Vorder- und Hintergrundfarbe unter Verwendung dieser Konformitätsstufen.
Die Website bietet somit meiner Meinung nach auch im Printbereich eine ausgezeichnete Unterstützung dabei, herauszufinden, welche Kombination aus Vorder- und Hintergrundfarbe am augenfreundlichsten ist. Ein besonderes Highlight aus meiner Sicht ist die Möglichkeit, die gewählte Farbkombination auch im Graustufenbereich anzusehen. Dies ist besonders dann von Bedeutung, wenn unser farblich angelegtes Informationsprodukt auch im Schwarz-/Weiß-Druck bzw. Graustufendruck ausgegeben werden soll.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist übrigens, dass wir bei der Papierauswahl darauf achten kein glänzendes, sondern mattes Papier zu verwenden um störende Lichtreflexe beim Lesen zu vermeiden.
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Kommen wir noch zum Thema Schriften. Das Feld der Typografie ist ein spannendes Gebiet, aber keine Angst es wird nicht wissenschaftlich.
Am Anfang steht die Leserlichkeit. Hierbei geht es darum wie die Zeichen einer Schrift vom Leser wahrgenommen, erkannt und unterschieden werden können. Dies ist unter anderem abhängig von der verwendeten Schriftart. Aber auch die Schriftgröße und der Zeilenabstand sowie weitere Faktoren wie das Seitenformat und der Satzspiegel, um nur einige zu nennen, bestimmen die Leserlichkeit und Lesbarkeit eines Werkes mit.
Dieses Thema ist zu umfangreich, um es auf die Schnelle zu behandeln, daher möchte ich auf die DIN 1450:2013-04 verweisen, welche beschreibt, wie Schriften leserlich gestaltet werden wobei diese Norm insbesondere die Bedürfnisse sehbehinderter Menschen berücksichtigt. Des Weiteren möchte ich die Website leserlich.info des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes erwähnen, die zu diesem Thema wertvolle Hinweise und Unterstützung liefert.
Aber eine Bedienungsanleitung nützt nichts, wenn sie nicht illustriert ist und die textlichen Inhalte nicht sinnvoll, verständlich und strukturiert erstellt sind.
Dies soll Thema des nächsten Podcasts sein, bevor wir uns dann in einer weiteren Folge der Barrierefreiheit digitaler Informationsprodukte zuwenden.
Fazit
Halten wir also fest:
- Das am 28. Juni 2025 in Kraft tretende Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird nicht nur Auswirkungen auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen haben, sondern auch auf unsere Arbeit in der technischen Redaktion.
- Die Barriefreiheit eines Produktes hat in gewisser Hinsicht auch Auswirkungen auf die Form der Barrierefreiheit des dazugehörigen Informationsproduktes.
- Bei der Gestaltung barrierefreier Informationsprodukte in Druckform spielen Faktoren wie das Papier, Farben und Kontraste sowie die Typografie eine bedeutende Rolle.