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BF #001 Barrierefreiheit in der technischen Dokumentation – Teil 1

BF #001 Barrierefreiheit In Der Technischen Dokumentation – Teil 1

Barrierefreiheit – ein Begriff, der in vielen Bereichen des täglichen Lebens eine Rolle spielt. Meist wird er assoziiert mit dem Zugang zu öffentlichen Gebäuden oder Plätzen, zu Verkehrsmitteln und mit dem Wohnungsbau, um nur einige Beispiele zu nennen. Aber Barrierefreiheit begegnet uns auch in der technischen Dokumentation.

Dieser Podcast ist der erste Teil einer geplanten kleinen Reihe zum Thema Barrierefreiheit in der technischen Dokumentation. Er soll daher nur eine erste Einführung in ein ebenso wichtiges wie spannendes Thema sein.

Barrierefreiheit wird wohl überwiegend im Kontext mit körperlich oder geistig behinderten Menschen gesehen. Sie ist aber keineswegs nur auf diesen Personenkreis beschränkt, sondern kommt vielfach auch Menschen zugute, die keine Behinderungen haben.

So etwa, wenn es um die Benutzung von Fahrstühlen, Bussen oder Bahnen geht, wenn man einen Kinderwagen dabei hat. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie verzweifelt manche Mutter oft versucht hat, mit ihrem Kinderwagen über die damals noch üblichen zwei Stufen der berühmten Doppeldeckerbusse meiner Berliner Heimat zu gelangen, in deren Mitte auch noch ein Handlauf montiert war. Ohne helfende Hände anderer Fahrgäste wäre ein Mitfahren oft nicht möglich gewesen. Dieses Problem gehört dank klappbarer Rampen in den Bussen heute der Vergangenheit an.

Aber um diese Form der Barrierefreiheit soll es in diesem Podcast gar nicht gehen – wir beschäftigen uns heute mit der Barrierefreiheit in der technischen Dokumentation. Hier begegnet sie uns wohl überwiegend in zwei Formen: zum einen in dem Produkt selbst und zum anderen in der Produktinformation bzw. Kundeninformation. Beide interagieren miteinander.

Was ist Barrierefreiheit?

Klären wir als Erstes den Begriff Barrierefreiheit. Was ist Barrierefreiheit?

Je nachdem welche Quelle man befragt, können sich leichte Unterschiede ergeben.

Als Grundlage würde ich den Artikel 3 Abs. 3 unseres Grundgesetzes ansehen. Hier heißt es im letzten Satz: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Das Behindertengleichstellungsgesetz BGG führt in § 4 wie folgt aus: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informa-tionsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig. „

Zur Barrierefreiheit gibt es einige Gesetze oder Richtlinien, die nachfolgende Aufzählung erhebt dabei nicht den Anspruch der Vollständigkeit.

Neben dem bereits erwähnten Behindertengleichstellungsgesetz BGG gibt es die UN-Behindertenrechtskonvention UN-BRK, sowie die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung BITV. Das BGG und die BITV sind dabei gültig für staatliche Institutionen, wobei die BITV auf alle Internetangebote des Bundes bezogen ist. Außerdem zu nennen sind die Web Content Accessibility Guidelines WCAG, die allgemeine Standards für ein barrierefreies Internet festlegen.

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Zielgruppen der Barrierefreiheit

Schauen wir nun auf die Zielgruppen, mit denen wir es, in dieser Hinsicht, zu tun haben:

Zielgruppe: Behinderte

Da wäre zunächst die Zielgruppe der behinderten Menschen. Wie ist Behinderung eigentlich definiert?

Eine Antwort finden wir im SGB IX, Kapitel 1, § 2, Absatz 1, Satz 1.

Zitat: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“

Behinderungen können, wie wir alle wissen, vielfältig und in verschiedenen Schweregraden daherkommen. Sie alle werden einige oder gar alle unserer fünf Sinne, die Motorik des Körpers oder die kognitiven Fähigkeiten in irgendeiner Form beeinträchtigen – mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Leistungsmöglichkeit der Betroffenen.

Zielgruppe: Senioren

Dann gibt es die Zielgruppe der Senioren.

Schauen wir noch einmal in das SGB IX und dort jetzt in den Satz 2 der eben genannten Fundstelle.

Zitat “Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.„

Somit gilt ein alter Mensch, der mit den dem Alterungsprozess einhergehenden körperlichen Einschränkungen zu kämpfen hat, natürlich nicht als behindert. Aber auch ohne eine Behinderung haben Personen dieser Altersgruppe mit Einschränkungen zu tun die zwar naturgemäß mit dem Alterungsprozess einhergehen, deren Folgen aber dennoch in einigen Bereichen denen einer Behinderung nach gesetzlicher Definition gleich sein können: So nimmt bei den meisten Menschen mit fortschreitendem Alter das Hör- und Sehvermögen ab und das oftmals sogar recht deutlich. Schwerhörigkeit und Kurz- oder Weitsichtigkeit sind beispielsweise die Folge. Und auch die motorischen Fähigkeiten sind mit zunehmendem Alter beeinträchtigt, was sich in vielfältigen Formen manifestieren kann.

So kann bereits ein Smartphone, das einem jungen Menschen keinerlei Schwierigkeiten bereitet, für eine ältere Person eine unüberwindliche Hürde darstellen: Die Bedienung des Gerätes ist erschwert, vielleicht sogar unmöglich, weil die Symbole nicht mehr erkannt werden oder die (Soft)Tasten so klein sind, dass eine gezielte Anwahl nicht mehr möglich ist. Und insbesondere hochtechnische Geräte wie Computer oder Smartphones können – je nach Benutzerführung – ebenfalls Probleme bereiten, denn auch die kognitiven Fähigkeiten können mit fortschreitendem Lebensalter verlangsamen.

Sie sehen also bereits an diesem Beispiel, dass gar keine Behinderung im klassischen Sinne vorliegen muss, um den Gebrauch eines Produktes zu erschweren oder unmöglich zu machen.

Zielgruppe: Anderssprachige Personen

Aber auch ohne körperliche oder geistige Einschränkungen gibt es eine weitere Zielgruppe, die weltweit vorkommt: die derjenigen die einer bestimmten Sprache nicht mächtig sind. So beinhalten beispielsweise in den USA viele Bedienungsanleitungen auch eine Übersetzung in lateinamerikanischem Spanisch, denn der Anteil von Menschen aus diesem Raum ist dort recht hoch. Auch dies ist Barrierefreiheit.

Barrierefreiheit und Informationsprodukte

Was bedeutet Barrierefreiheit nun für unsere Informationsprodukte?

Bei erster Betrachtung scheint es gar nicht mal erforderlich sich mit der Barrierefreiheit auseinandersetzen zu müssen. Unsere Informationsprodukte müssen doch ohnehin so angelegt werden, dass die jeweilige Zielgruppe sie versteht. Und zum Verstehen gehört, dass die Informationen so dargestellt werden müssen, dass die Zielgruppe keine Schwierigkeit hat diese zu verinnerlichen. Die ist normativ so gefordert – zum Beispiel mit der Forderung nach Verständlichkeit der Nutzungsinformation in den sieben Prinzipien zur Sicherstellung der Informationsqualität – siehe hierzu die DIN EN IEC/IEEE 82079-1.Und ein Informationsprodukt kann für die Zielgruppe nur dann verständlich sein, wenn die Zielgruppe die benötigten Informationen sicher daraus entnehmen kann.

Ganz so einfach dürfen wir uns es uns nun aber nicht machen, doch leider bietet weder die Maschinenrichtlinie noch die DIN EN ISO 20607 oder die DIN EN ISO 12100 hier eine Hilfestellung – der Begriff Barrierefreiheit kommt dort schlichtweg nicht vor. Lediglich in der 82079-1 finden wir drei geradezu minimalistische Erwähnungen dieses Begriffes, die aber auch nicht so recht weiterführen.

In welchen Bereichen spielen barrierefreie Dokumente überhaupt eine Rolle? Meiner Meinung nach grundsätzlich erst einmal dort, wo das zu beschreibende Produkt selbst barrierefrei gestaltet ist. Wo also beispielsweise besonders große Bedientasten in einem Gerät vorhanden sind, damit Benutzer mit Sehschwierigkeiten es auch sicher bedienen können, sollte logischerweise auch das dazugehörige Informationsprodukt nicht aus einer Bleiwüste in 10-Punkt-Schrift bestehen.

Dann könnte man – ganz vorsichtig und auch nur unter Vorbehalt gesprochen – den gewerblichen Bereich ausklammern. Geht es beispielsweise um Maschinen und Elektrowerkzeuge für Handwerker, wird man möglicherweise erst einmal davon ausgehen, dass Angehörige dieser Zielgruppe vermutlich keinen Bedarf an barrierefreien Dokumenten haben. Denn jemand der unter erheblichen Sehschwierigkeiten oder motorischen Einschränkungen leidet, wird vermutlich kaum mit einer Handkreissäge arbeiten können – und dürfen. Aber diese Argumentation wäre zu einfach, denn nicht jedes körperliche Handicap ist automatisch ein Ausschlussgrund. Während beispielsweise eine Farbsehstörung für eine Tätigkeit im Elektrobereich gefährlich sein kann, stellt sie möglicherweise für einen Tischler kein großes Problem dar. Daher sollte man auch für Informationsprodukte im gewerblichen Bereich generell daran denken, beispielsweise die Farbauswahl so zu gestalten, dass Menschen mit Farbsehstörungen nicht benachteiligt werden.

Und wie sieht es im Bereich des B2C-Segmentes aus? Können wir im gewerblichen Umfeld möglicherweise mit Hilfe der Zielgruppenanalyse Personen mit bestimmten körperlichen und geistigen Einschränkungen vom potentiellen Benutzerkreis ausschließen, wird uns dieses bei Consumerprodukten wohl kaum gelingen. Wer schlussendlich den Handmixer XYZ erwirbt und benutzt ist für uns nicht vorhersehbar. Was folgt nun aber für die technische Redaktion daraus?

Nun, man könnte ein Dokument für alle gestalten – nach dem Motto „One Size fits it all“, die Barrierefreiheit ist hier also gewissermaßen bereits enthalten. Nun wird es allerdings kaum praktikabel sein, eine Bedienungsanleitung so zu konzipieren, dass alle denkbaren Barrieren in einem Dokument ausgeräumt sind – etwa durch eine Ausführung in Brailleschrift.

Aber wir können etwas anderes tun (hierbei finde ich auch den immer wiederkehrenden Blick in die bereits erwähnten sieben Prinzipien zur Sicherstellung der Informationsqualität sehr hilfreich). Achten wir doch einfach generell darauf, dass wir beispielsweise unsere Informationsprodukte möglichst optimal aufbauen. Das bedeutet nun nicht, dass wir gewisse normative Forderungen, wie beispielsweise, dass das Sicherheitskapitel möglichst weit an den Anfang einer Bedienungsanleitung gerückt wird, außer Acht lassen. Aber wir können mit Elementen wie einem bestmöglichen Layout, dem Einsatz von gut lesbaren Schrifttypen und -größen, einem zwar einfachen aber nicht zu simplen Satzbau, einer durchdachten Terminologie unter weitgehendem Verzicht von Fremdwörtern und Fachausdrücken und einer für den jeweiligen Anwendungsfall optimal abgestimmten und leicht nachvollziehbaren Dokumentenstruktur bereits viele Stolperfallen ausmerzen.

Ich erwähnte eben die Brailleschrift – eine Schriftform, die speziell für stark sehbehinderte oder blinde Menschen entwickelt wurde. Sie ist aber nur eine Form der Hilfen für diejenigen die ihre Umwelt kaum oder gar nicht mehr mit den Augen erfassen können.

So lassen sich heute Informationsprodukte nicht nur in Braille, sondern beispielsweise auch als sogenannte Audioguides erstellen, die eine Bedienungsanleitung hörbar machen.

Diese Produkte müssen in der Regel aber separat zu einer Print- oder Online-Ausgabe erstellt werden. Dies ist jedoch bei konsequentem Einsatz eines Component Content Management Systems heute keine Hürde.

Es gibt eine Vielzahl von Publikationen, die sich mit Fragen der Usability und Barrierefreiheit beschäftigen. Stellvertretend für sie sei beispielsweise auf den ETSI Guide EG202 116 aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie verwiesen. Sein Titel lautet: Human Factors; Guidelines for ICT Products and Services; Design for all.

Und damit möchte ich diese Folge beschließen. In den kommenden Folgen werden wir etwas genauer beleuchten, wie sich Barrierefreiheit in der technischen Dokumentation sicherstellen lässt. Hierzu werde ich auch auf das weite Feld der digitalen Informationsprodukte eingehen.

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Fazit:

Halten wir also fest:

  • Barrierefreiheit ist nichts, das ausschließlich behinderte Menschen, sondern auch durchaus jeden anderen betrifft.
  • Bereits unter Beachtung der Normen und Richtlinien für die technische Dokumentation können wir viel dafür tun unsere Informationsprodukte bereits in weiten Bereichen grundlegend barrierefrei zu gestalten.

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