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BA #026 Die unbrauchbare Risikobeurteilung

BA #026 Die Unbrauchbare Risikobeurteilung

Heute war es mal wieder soweit. Ich habe eine Anfrage auf dem Tisch. Es sollen die Risikobeurteilung und die Anleitung eines Produktes überprüft werden. Ein Blick auf die Warnhinweise in der Anleitung versetzt mich gefühlt 30 Jahre in die Vergangenheit. Altbackene Gestaltung und unverständliche Texte. Keine Spur vom „Safe“-Prinzip oder genormten Piktogrammen. Der Blick in die Risikobeurteilung offenbart denselben alten Stand. Grund genug diesen Podcast diesem Thema zu widmen.

„Warnhinweis in die Anleitung“: Wie sehr ich diesen Text in der Risikobeurteilung hasse, wenn keine weiteren Informationen gegeben werden! Ganz nach dem Motto, soll doch der Redakteur den Warnhinweis schreiben. Der weiß doch wie das geht.

Diese Situation ist dabei kein Einzelfall, ich sehe sehr häufig in dieser Hinsicht schlechte manchmal sogar unbrauchbare Risikobeurteilungen. Ebenso häufig im Gepäck sind dann fehlende Lebensphasen und unzureichend beschriebene Gefahrensituationen.

Veraltete Normen und keine neuen Erkenntnisse

All das wirkt, als ob die Zeit im dazugehörenden Unternehmen in den 90ern stehen geblieben ist. Keine Spur von neuen Normen oder dem Einfluss von neuen Erkenntnissen. Dass es der technische Redakteur hier schwer hat, ist schnell klar. Wie soll man auch so brauchbare Anleitungen schreiben, wenn eines der wichtigsten Quelldokumente unbrauchbar ist.

Eine der häufigsten Ursachen ist dabei schlicht die fehlende Weiterbildung. Häufig ist in diesen Unternehmen niemand wirklich bewusst, dass sich Normen, Richtlinien und der Stand der Technik weiterentwickeln und verändern. Zumindest nicht bei den Personalverantwortlichen. Den sonst würde man das eigene Personal auf mögliche Weiterbildungen ansprechen.

Denn häufig weiß das Personal, dass es Weiterentwicklungen und neue Normen gibt. Denn in der Regel hat man ja Kontakte mit ähnlichen Jobs oder abonnierte Newsletter und wird so informiert. Aber häufig fehlt schlicht die Zeit, Schulungen zu besuchen. Das Business muss schließlich weitergehen und das Auftragsbuch ist voll und muss schnell abgearbeitet werden.

Organisationsverschulden durch fehlende Weiterbildungen

Diese Situationen führen dabei häufig zum sogenannten Organisationsverschulden. Damit ist ein Versagen der gesamten Unternehmensorganisation gemeint, dass schlussendlich zu einem Unfall und damit verbunden zu einem Haftungsfall führt. Wenn zum Beispiel durch eine fehlende Weiterbildung dem Konstrukteur die korrekte Anwendung einer Norm unbekannt bleibt, die den Unfall verhindert hätte.

Dabei ist den wenigsten Personalverantwortlichen bewusst, dass sie selbst die Ursache für diesen Unfall sein können. Einfach nur, weil sie sich nicht darum gekümmert haben, ob ihr unterstelltes Personal Weiterbildungen benötigt oder nicht. Jedoch ist die Aufgabe nicht mit einer einzelnen, jährlichen Frage nach Weiterbildung erledigt. Denn eine weitere Aufgabe für die Personalverantwortlichen ist es, dafür zu sorgen, dass das unterstellte Personal alle notwendigen Mittel für die übertragenen Aufgaben hat. Dazu gehört neben dem benötigten Wissen auch die benötigte Zeit und Arbeitsmittel.

Sollten Sie also für Personal Verantwortung tragen, überlegen Sie, wann Ihr Personal zuletzt Weiterbildungen für ihre Aufgaben bekommen hat. Und falls es schon etwas länger her ist: In den Shownotes finden Sie einen Link zu unserem aktuellen Seminarangebot.

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Weiterentwicklungen in der Risikobeurteilung

Aber kommen wir zurück zu unserem Thema. Die Art und Weise der Risikobeurteilung hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Aber wie und was? Das schauen wir uns jetzt etwas detaillierter an.

Mechanik vs. Elektrik

Beginnen wir mit dem Zeitpunkt der Erstellung. Dieser sollte in der Konzeptionsphase unseres Produktes liegen. Das Produkt wird also noch geplant, zu diesem Zeitpunkt sollte die Erstellung der Risikobeurteilung begonnen werden.

Denn genau jetzt können noch konstruktive Maßnahmen ergriffen werden, ohne dass ein Umbau der Maschine notwendig wird. Im Nachhinein technische Schutzmaßnahmen nachzurüsten ist häufig teurer, als während der mechanischen Konstruktion eine Trennwand einzuplanen.

Denn auch das sehe ich leider häufig. Eine vollkommen falsche Priorisierung, die mechanische Konstruktion macht es sich leicht und gibt Gefahrensituationen direkt an die Elektrik weiter. Nach dem Motto, Lichtschranke ran und gut ist. Doch leider ist das häufig die teurere Lösung, in der Regel gibt es einfachere und kostengünstigere Lösungen.

Kommunikation der Abteilungen verbessern

Der erste Lösungsansatz dazu ist, die Risikobeurteilung gemeinsam zu erstellen. Also gemeinsam während der Konstruktion zusammenzusitzen und zu überlegen wie Risiken optimal gelöst werden könnten. Hier sollte dann nicht nur die mechanische und elektrische Konstruktion am Tisch sitzen, sondern alle, die etwas an der Maschine zu tun haben. Auch die technische Redaktion.

Denn das hat weitere, positivere Effekte. Nicht nur können kostengünstigere Lösungen für die Gefahrenstellen ermittelt werden, es werden auch weitere Blickwinkel betrachtet. Denn die technische Redaktion kann ihren Blickwinkel ebenfalls mit einbringen. Und dieser ist häufig der Blick des Verwenders oder Anwenders.

Wechsel zur aufgabenbezogener Risikobeurteilung

Und hier sind wir an einem der größeren Punkte, die sich verändert haben. Denn die Risikobeurteilung sollte spätestens seit 2007 aufgabenbezogen erstellt werden. Oder wie es häufig heißt, nach Lebensphasen.

Denn hier herrscht ein großes Missverständnis. Die Erstellung nach Lebensphasen wird leider häufig so verstanden, dass einfach eine Lebensphase zur Gefahrenquelle ergänzt wird. Das also das Scheren an einer Stelle in den Lebensphasen Inbetriebnahme und Wartung möglich ist. Aber das ist falsch!

Bleiben wir bei diesem einfachen Beispiel. Nehmen wir mal an, für diese Gefahr bleibt uns nur eine Lösung, die Erstellung eines Warnhinweises in der Anleitung. Doch wo genau soll dieser hin? Die Kapitel Inbetriebnahme oder Wartung sind häufig umfangreich, wann genau und wo kann sich den der Bediener scheren?

Optimierungspotenzial durch Beteiligung von technischen Redakteuren

Hier kann sich das Mitwirken eines technischen Redakteurs bei der Erstellung der Risikobeurteilung auszahlen. Denn er sollte hier klären, wann und wo sich der Anwender scheren kann. Gleichzeitig kann er bei der Vorformulierung des zukünftigen Warnhinweises helfen, damit nicht nur „Warnhinweis in die Anleitung“ in der fertigen Fassung der Risikobeurteilung steht.

Aber nicht nur dieser Bereich wird durch die Beteiligung der technischen Redaktion verbessert. Denn häufig werden die Risikobeurteilungen noch häufig so erstellt, dass man sich an der Gefährdungsliste nach DIN EN ISO 12100 stur entlanghangelt. Sprich es werden die einzelnen Gefahrenquellen angeschaut und betrachtet.

Das Problem dabei ist, dass Risiken und Gefahrensituationen übersehen werden. Denn auch bei dieser Arbeitsweise werden nicht die Tätigkeiten des Anwenders also die ihm übertragenen Aufgaben betrachtet. Ich erkenne dies häufig daran, wenn ich mit der Erstellung der Anleitung beauftragt bin und eine Tätigkeit beschreiben soll, aber keine Informationen dazu finde. Die Folge dann ist, dass ich mit den Konstrukteuren Rücksprache halten muss.

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Schlechte Abläufe kosten Zeit und Geld

Und sollte ich dabei auf eine Gefahr stoßen, müssen dafür Lösungen gesucht werden. Diese wiederum benötigen häufig Zeit. Die Folge: Die Erstellung und Finalisierung der Anleitung verzögerten sich, von der häufig benötigten Übersetzung ganz zu schweigen. Und genau genommen darf das Produkt die Produktion nicht verlassen, denn ohne Anleitung darf keine CE-Kennzeichnung angebracht werden, das Produkt darf nicht auf den Markt.

Auf diese Art und Weise können also fehlerhafte Abläufe ziemlich viel Geld kosten. Insbesondere wenn der Kunde auf seinen Terminplan besteht und mit Strafen bei Verzögerungen droht. Komplexer wird die Situation dann auch noch, wenn das eigene Produkt in vorhandene Produktionsstraßen eingebaut werden muss und man als Generalunternehmer für alles die Verantwortung trägt. Denn dann kommen weitere, unbekannte Faktoren wie die Situation vor Ort hinzu.

Grund genug also, die Abläufe bei der Erstellung der Risikobeurteilung zu überprüfen und zu optimieren. Aber an dieser Stelle möchte ich noch etwas anderes betonen. Es ist wichtig, die technische Redaktion an der Erstellung der Risikobeurteilung zu beteiligen. Der gesamte Prozess sollte jedoch nicht an sie übertragen werden. Denn technische Redakteure können zwar schreiben, haben aber häufig unzureichendes Wissen im Bereich der Sicherheitstechnik. Sie können somit keine brauchbaren Lösungen in diesem Bereich erarbeiten, es droht ein Verstoß gegen das Prinzip der inhärent sicheren Konstruktion. Daher sollte die Verantwortung auf jeden Fall bei den zuständigen Konstrukteuren bleiben.

Häufig fehlende Informationen zum Produkt

Doch welche Fehler gibt es noch bei der Erstellung der Risikobeurteilung? Neben dem bloßen Abarbeiten von Gefährdungslisten fallen mir noch häufig unvollständige Informationen auf. Grundlegende Informationsblöcke, die in die Risikobeurteilung gehören, aber häufig nicht vorhanden sind.

Diese Situation kommt häufig bei Risikobeurteilungen vor, die noch von Hand erstellt werden. Also ohne Softwareunterstützung. Denn diese Informationen selbst muss es irgendwo im Unternehmen geben, sie sind für das Produkt relevant und grundlegend. Ich spreche von der bestimmungsgemäßen Verwendung, der damit verbundenen vorhersehbaren Fehlanwendung, dem Missbrauch und möglichen Grenzen der Verwendung.

Diese Informationen gehören zu jedem Produkt. Doch leider fehlen sie häufig in der Risikobeurteilung. Gleichzeitig sind diese häufig wichtige Informationsblöcke in der Anleitung. Denn wie soll ein Anwender wissen, was er mit einem Produkt machen darf, wenn es dazu keine Informationen in der Anleitung gibt?

Auch hier sitzt der Redakteur häufig vor einem Dokument und hat nur die Wahl: Entweder nachfragen oder etwas aus den Fingern saugen. Und das Risiko eines Unfalls ist insbesondere im Kontext der bestimmungsgemäßen Verwendung und der hervorsehbaren Fehlanwendung sehr hoch. Ein Risiko, dass man durch saubere Kommunikation und geordnete Prozesse einfach beseitigen kann.

Schutzeinrichtungen – Wo sind sie? Wie prüft man diese?

Kommen wir zum letzten Punkt, der ebenfalls häufig vergessen wird. Die Risikobeurteilung erlaubt es uns, Gefahren durch Schutzeinrichtungen zu verringern oder zu beseitigen. Dazu gibt es eine große Anzahl an Möglichkeiten, egal ob Lichtschranken, Sensoren oder trennende Schutzeinrichtungen.

Was jedoch häufig vergessen wird, ist diese Information an den Anwender des Produktes weiterzugeben. Denn auch diese Teile der Maschine unterliegen häufig Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen oder müssen regelmäßig auf ihr Vorhandensein geprüft werden. Denn eine trennende Schutzeinrichtung bringt nichts, wenn sie nicht vorhanden ist. Zum Beispiel weil sie während der Wartung demontiert werden musste und man vergessen hatte diese wieder zu montieren.

Auch bei diesem Thema mangelt es häufig an der Kommunikation zwischen den Abteilungen. Meist tritt dabei eine von zwei Situationen auf. Die erste Situation ist, dass die Sicherheitseinrichtungen gar nicht in der Risikobeurteilung auftauchen. Der Grund ist dabei meist banal: Die Risikobeurteilung wurde nachträglich erstellt, der Ersteller hat die Risiken nicht mehr aufgeführt. Da sie ja bereits durch die Sicherheitseinrichtungen beseitigt oder vermindert wurden.

Die zweite Situation ist, dass die Sicherheitseinrichtungen in der Risikobeurteilung aufgeführt werden, es jedoch nirgendwo Informationen dazu gibt oder diese viel zu kryptisch beschrieben wurden. Der Redakteur sucht dann vergeblich nach Informationen wie Wartungszyklen oder wo genau diese Schutzeinrichtungen angebracht wurden.

Auch hier entstehen unnötige Fehlerquellen und es wird unnötig viel Zeit vergeudet. Und Zeit ist ja bekanntlich Geld. Und gerade im Kontext der Erstellung der Risikobeurteilung sollte überlegt werden, die Prozesse zu optimieren. Denn leider führen hier vergessene oder übersehene Fehler schnell zu Gefahrensituationen, in denen Personen verletzt werden könnten. Und das ist schließlich etwas, was niemand möchte.

Daher meine Bitte an Sie: Schauen Sie sich Ihren Prozess zur Erstellung der Risikobeurteilung regelmäßig an und sprechen Sie auch mit demjenigen, der die Informationen in die Anleitung überführt. Egal ob Konstrukteur, technische Redaktion oder externer Dienstleister. Denn diese Person oder Personen können Ihnen helfen, Ihre Prozesse zu optimieren und zu verbessern. Im Idealfall können Sie sogar Ihr Haftungsrisiko verringern.

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