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BA #027 Die Form der Anleitung: Papier oder Digital?

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Papier oder digital? Die Form der Anleitung beschäftigt viele Unternehmen und ist auch bei uns eine der am häufigsten gestellten Fragen. Muss ich mehrere Tausend Seiten Papier ausdrucken, in Ordner abheften und dem Kunden mitliefern? Der stellt die Ordner doch sowieso nur in ein Regal und schaut nie mehr hinein.

Denn betrachtet man neben den Druckkosten auch die benötigte Logistik dahinter, entdeckt man ein sehr komplexes und kostenintensives Thema. Anleitungen müssen so gestaltet sein, dass sie in Verpackungen passen und müssen rechtzeitig für das Verpacken mit dem Produkt vorliegen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten steigen insbesondere bei Konsumgütern immens an.

Denn hier wird das Produkt meist im Ausland günstig produziert, in die EU importiert und hier unter einem neuen Hersteller als OEM Produkt verpackt. Die Anleitung hingegen wird an einem anderen Ort gedruckt und muss ebenfalls angeliefert werden, um rechtzeitig in die neue Verpackung eingelegt werden zu können.

Nochmal komplexer wird es dann, wenn es verschiedene Sprachfassungen der Anleitungen gibt, um Wirtschaftsräume mit den geforderten Sprachenkombinationen abzudecken. Denn man möchte ja verhindern, dass eine rein italienische Anleitung in Schweden landet, da der Schwede vermutlich kein Italienisch kann.

Warum nicht digital? Ist doch einfacher!

Also warum wird die Anleitung nicht einfach digital zur Verfügung gestellt? So entfällt die gerade beschriebene Situation sowie die damit verbundenen Kosten. Der Schwede kann zwischen allen Sprachversionen wählen und die von ihm gewünschte Sprache herunterladen. Das Internet ist fast überall zugänglich, durch Smartphones und das Handynetz sind mobile Daten ein nicht wegzudenkendes Element unseres Alltags geworden.

Über Suchmaschinen kann man bereits heute zu vielen Produkten das digitale Gegenstück zur Papieranleitung finden und herunterladen. Die Daten sind also größtenteils bereits digital vorhanden. Durch elektronische Funktionen wie die Suchfunktion im Dokument oder die Verwendung von Verlinkungen sind diese digitalen Dokumente außerdem häufig zugänglicher und benutzerfreundlicher als das Papiergegenstück.

Es spricht also vieles für eine digitale Anleitung, unabhängig vom Produkt. Wieso finden wir also überall noch gedruckte Anleitungen? Nun die Antwort finden wir im rechtlichen Bereich, bei unseren Richtlinien und Gesetzen.

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CE-Kennzeichnung und Produktsicherheitsgesetz

Die Anforderungen an Produkte und damit auch an die Anleitung werden über die Richtlinien der CE-Kennzeichnung definiert. Hinzu kommt in Deutschland das Produktsicherheitsgesetz, ein nationales Gesetz das ebenfalls auf einer EU-Richtlinie basiert. Da es aber 28 Richtlinien zur CE-Kennzeichnung gibt, würde die Behandlung aller Richtlinien den Rahmen dieser Folge sprengen. Wir beschränken uns daher auf 3 häufig anwendbare Richtlinien:

–          Die EMV-Richtlinie 2014/30/EU

–          Die Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU

–          Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG

Sucht man in der EMV-Richtlinie oder in der Niederspannungsrichtlinie nach dem Begriff „Anleitung“ findet man sehr schnell die Pflichten des Herstellers. Dort steht in Absatz 7 in beiden Richtlinien eine ähnliche Formulierung: „Die Hersteller gewährleisten, dass dem Gerät die Betriebsanleitung beigefügt ist, die in einer vom betreffenden Mitgliedsstaat festgelegten Sprache, die von Verbrauchern und sonstigen Endbenutzern leicht verstanden werden kann, verfasst sind.“

Die Maschinenrichtlinie ist ein paar Jahre älter, enthält aber einen ähnlichen Satz. Dort steht unter Kapitel 1.7.4 Betriebsanleitung: „Jeder Maschine muss eine Betriebsanleitung in der oder den Amtssprachen des Mitgliedstaats beiliegen, in dem die Maschine in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen wird.“

Richtlinien fordern keine Papierform, aber vielleicht die Leitfäden zur Umsetzung?

Diese Auszüge sind übrigens eine der rechtlichen Grundlagen, wieso in Deutschland eine deutsche Anleitung mitgeliefert werden muss und in Schweden eine schwedische. Diese Anforderung kann nicht durch Verträge mit dem Kunden außer Kraft gesetzt werden. Aber dies nur am Rande. In diesen Auszügen wird jedoch nirgendwo die Anleitung in Papier gefordert. Woher stammt also diese Anforderung?

Schauen wir also als nächstes in die sogenannten Blue Guides der EU. Das sind die Leitfäden zur Umsetzung der einzelnen Richtlinien. Herausgeber dieser Leitfäden ist in Deutschland das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Diese Leitfäden kann man im Internet finden und herunterladen.

Auch hier beginnen wir mit dem Leitfaden zur EMV-Richtlinie. Durchsucht man den Leitfaden findet man nur den Hinweis, dass die Anleitung dem Gerät beizufügen ist. Die Informationen im Leitfaden der Niederspannungsrichtlinie sind dieselben. Der Hersteller muss die Anleitung beifügen. Von einer Form ist hier nicht die Rede.

Werfen wir also zum Schluss einen Blick in den Leitfaden der Maschinenrichtlinie. Dort gibt es den § 255 „Die Form der Betriebsanleitung“, also genau die Frage die wir suchen. Auch hier wird wiederholt, dass die Maschinenrichtlinie die Form der Anleitung in Nummer 1.7.4 nicht festlegt. Jedoch steht dort ebenfalls „Der allgemeine Konsens lautet, dass sämtliche Anleitungen, die für Sicherheit und Gesundheitsschutz relevant sind, in Papierform mitgeliefert werden müssen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Benutzer Zugang zu einem Lesegerät für das Lesen einer in elektronischer Form oder auf einer Website zur Verfügung gestellten Betriebsanleitung hat.“

Die Anforderung des Produktsicherheitsgesetzes

Bevor ich nun auf „den allgemeinen Konsens“ eingehe, betrachten wir noch kurz das Produktsicherheitsgesetz. Denn aufgrund der Leitfäden könnte man ja schlussfolgern, dass bei allen Produkten, außer denen der Maschinenrichtlinie, eine digitale Anleitung zulässig wäre. Einzig das Produktsicherheitsgesetz könnte diese Schlussfolgerung verhindern, da dieses Gesetz für alle Produkte gilt.

Im Produktsicherheitsgesetz wird das Thema unter „§3 Allgemeine Anforderungen an die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt“ behandelt. Dort findet man Absatz 4 der lautet: „Sind bei der Verwendung, Ergänzung oder Instandhaltung eines Produkts bestimmte Regeln zu beachten, um den Schutz von Sicherheit und Gesundheit zu gewährleisten, ist bei der Bereitstellung auf dem Markt hierfür eine Gebrauchsanleitung in deutscher Sprache mitzuliefern, sofern in den Rechtsverordnungen nach § 8 keine anderen Regelungen vorgesehen sind.“

Auch hier kein Wort von der Papierform. Darf man also rein digitale Anleitungen ausliefern?

Der „allgemeine Konsens“

Nun einfach gesagt „JEIN“. Denn wir haben ja noch den „allgemeinen Konsens“ aus dem Leitfaden der Maschinenrichtlinie. Was ist dieser allgemeine Konsens? Nun Juristen legen im Allgemeinen sehr viel Wert auf das geschriebene Wort und interpretieren dies entsprechend.

Schaut man die Texte in den Richtlinien an, wird dort immer von „beilegen“ gesprochen. Die Anleitung muss dem Produkt beiliegen. Und die Anleitungen „müssen leicht verstanden werden“ können. Eine digitale Anleitung kann man dem Produkt jedoch nicht beilegen, sie hat keine physische Form. Und falls sie eine physische Form wie eine CD hat, kann sie nicht leicht verstanden werden, da sie nicht ohne ein entsprechendes Gerät gelesen werden kann. Der Verwender hat also keinen Zugriff auf eventuell sicherheitsrelevante Informationen und ist unter Umständen Gefahren ausgesetzt. Die Anforderung der Richtlinie wird nicht erfüllt.

Interpretation ist eine Streitsache, auch vor Gericht

Aufgrund dieser Interpretation könnte man sagen, die Papierform ist Pflicht, alles andere erfüllt nicht die Anforderungen der Richtlinien und Gesetze. Aber ganz so einfach ist es leider doch nicht, denn scheinbar sind sich auch die Gerichte nicht einig. Denn auch die Richter vertreten unterschiedliche Auffassungen zum Thema und das seit Jahren.

Als Beispiel betrachten wir jetzt 2 Urteile, einmal für die digitale Anleitung und einmal für die Papierform. Das Urteil des Landgerichtes Potsdam von 2014 bejaht die Rechtmäßigkeit der digitalen Anleitung, das Urteil des Landgerichtes Essen von 2020 widerspricht dieser.

Urteil des Landgerichtes Potsdam, Aktenzeichen 2 O 188/13

Im Fall des Landgerichtes Potsdam von 2014 ging es um eine Digitalkamera. Zwischen beiden Parteien bestand ein Wettbewerbsverhältnis. Beide Parteien verkaufen Kameras. Die Beklagte importierte Kameras günstig aus dem Ausland, u. a. aus Polen und verkaufte diese über einen Onlineshop auf dem deutschen Markt. Die Klägerin ist ein offizieller Vertriebspartner des Kameraherstellers.

Die Klägerin hatte eine Digitalkamera bei der Beklagten gekauft und keine Betriebsanleitung in Papierform erhalten. Stattdessen war eine CD beigelegt, auf der die Anleitung vorhanden war. Der Grund dafür ist, dass die Beklagte bei den aus Polen importierten Kameras regelmäßig das gedruckte Handbuch entfernte , dass nur in polnischer Sprache abgefasst war.

Zum Lieferumfang der Kamera gehörten jedoch immer eine Papieranleitung sowie die Anleitung auf CD. Die Klägerin verwies auch auf die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitshinweise, die in Papierform und deutscher Sprache vorliegen müssen.

Das Gericht wies die Klage ab. Einer der Gründe war, dass es in den vorhin behandelten Richtlinien und Gesetzen keine Begründung für eine zwingende Papierform gesehen hatte. Ein weiterer wichtiger Grund war jedoch auch das Produkt selbst. Eine Digitalkamera benötigt für die Weiterverarbeitung, Ablage, etc. einen PC. Durch diesen PC ist quasi sichergestellt, dass die Betriebsanleitung auf dem Datenträger gelesen werden kann. Endverbraucher ohne PC werden sich hingegen vermutlich keine Digitalkamera anschaffen. Somit würde die Betriebsanleitung auf der CD die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, die digitale Anleitung in diesem Fall ist zulässig.

Urteil des Landgerichtes Essen, Aktenzeichen 44 O 40/19

Unser zweites Urteil führt uns ans Landgericht Essen und ist aus dem Jahr 2020. Auch im zweiten Fall sind Kläger und Beklagter gewerbliche Verkäufer im Wettbewerbsverhältnis. Beide Parteien vertreiben sicherheitstechnische Produkte für Feuer- und Brandprävention.

Der Kläger bestellte im Rahmen eines Testkaufs einen Gaswarnmelder beim Beklagten. Auch hier war keine deutschsprachige Anleitung beigefügt. Alle Informationen auf der Produktverpackung waren in Englisch verfasst. Es waren keine Informationen in Deutsch vorhanden.

Der Beklagte verwies im Rahmen der Verhandlung auf eine E-Mail, die einen Link zu einer deutschen Anleitung beinhaltete. Diese Anleitung hätte sich auf ein praktisch identisches Gerät bezogen, es hätte nur Unterschiede in der Batterie gegeben. Der Beklagte verwies darauf, das auch keine Anleitung notwendig sei, da es keine Einstellungsmöglichkeiten am Gerät gebe und auch alles selbsterklärend sei.

Das Gericht sah die Klage als begründet an und gab dem Kläger Recht. Als Begründung wird § 3 Absatz 4 des Produktsicherheitsgesetzes genannt, da eine deutschsprachige Anleitung zum Produkt nicht vorhanden war. Englischsprachige Informationen sind nicht ausreichend.

Das Gericht verurteilte den Beklagten zu einem Verkaufsstopp von allen Waren ohne Gebrauchsanleitung in Deutsch. Eine Zuwiderhandlung würde zu einem Ordnungsgeld von 250.000 € oder zu einer Haftstrafte von 6 Monaten führen. Weiterhin wurde der Beklagte zu einem Schadensersatz gegenüber dem Kläger verpflichtet und muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.

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Fazit: Anleitung digital oder in Papierform

Diese beiden Urteile zeigen, dass auch die Gerichte sich nicht zu 100% einig sind, ob eine Anleitung in Papierform vorliegen muss oder nicht. In gewisser Weise ist es also ein Spiel mit dem Feuer.

Aber etwas zeigen die beiden Urteile: Auf der einen Seite ist es möglich, zu einigen Produkten eine rein digitale Anleitung auszuliefern. Insbesondere dann, wenn in einer Weise sichergestellt werden kann, dass die Informationen trotzdem verfügbar sind. Wie eben bei der Digitalkamera.

Auf der anderen Seite zeigen diese beiden Urteile auch die Gefahr, von wo solche Klagen kommen. Denn meist werden diese Verfahren durch Marktbegleiter und Wettbewerber eingeleitet, die sich als benachteiligt ansehen. Gleichzeitig ist es natürlich auch eine Chance, den unbeliebten Wettbewerb kaltzustellen, wie es im Falle des Gasmelders eingetreten ist. Dort darf der Verklagte keine Produkte mehr ohne Anleitung verkaufen. Er muss also erstmal einen Invest betreiben, um deutsche Anleitungen zu erstellen. Das kostet je nach Anzahl der Artikel nicht nur Geld, sondern auch Zeit.

Was bringt die Zukunft?

Wenn ein Hersteller also heute, im Mai 2022, auf Nummer sicher gehen möchte, sollte er in Deutschland auf jeden Fall eine deutsche Anleitung in Papierform ausliefern. So kann er sich vor möglichen, rechtlichen Folgen am besten schützen. In den anderen Staaten der EU müsste die Situation ähnlich aussehen. In vielen Staaten haben wir eine ähnliche Rechtsform wie in Deutschland und durch die Richtlinien der EU auch die gleiche Basis.

Doch bleiben wir für immer in der Papierform gefangen? Nein! Denn es ändert sich. Bereits in der kommenden Maschinenverordnung wird sich dies ändern. Der aktuelle Entwurf gibt dem Käufer der Maschine eine Wahlmöglichkeit. Er darf dann wählen, ob ihm die digitale Version der Anleitung genügt oder ob er das gedruckte Dokument kostenfrei erhalten möchte. Eine ähnliche Anforderung stellt hier auch bereits die DIN EN ISO 20607, die als harmonisierte Norm für die Maschinenrichtlinie bereits eine große Bedeutung genießt. Dort ist das Ganze in Kapitel 7 „Veröffentlichungsformen“ behandelt.

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