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NI #003 Interpretation der DIN EN ISO 20607 Teil 3

NI #003 Interpretation Der DIN EN ISO 20607 Teil 3

Wir starten heute wieder in die Normeninterpretation der aktuellen DIN EN ISO 20607. Auch heute gehen wir einzelne Kapitel der Norm durch und ich erläutere wie ich diese interpretiere.

In diesem Zuge möchte ich auch erneut auf unsere Online-Seminare hinweisen. Nach dem erfolgreichen ersten Termin, geht das Online-Seminar nun in die nächste Runde.

Zu Beginn wieder die wichtige Anmerkung von mir. Diese Normeninterpretation ist meine eigene, fachliche Einschätzung und Interpretation der Norm. Bei der Interpretation berücksichtige ich keine anderen Normen oder Anforderungen, sondern gehe nur auf die Norm selbst ein. Verweise auf andere Normen führe ich auf und versuche sie auch zu erläutern.

Beachten Sie bitte, dass die DIN EN ISO 20607 eine B-Norm ist. Für einige Maschinen gibt es sogenannte C-Normen die andere Anforderungen an die Dokumentation stellen. Diese können wichtiger und konkreter sein als die Angaben in dieser Norm. Führen Sie daher immer eine Normenrecherche durch und überprüfen Sie alle Anforderungen an Ihr Produkt. Nur so können konforme und rechtssichere Dokumente erstellt werden.

Gliederung der Anleitung

In der letzten Folge behandelten wir Kapitel 4.8 „in der Betriebsanleitung verwendete Warnhinweise, Gefährdungs- und Sicherheitssymbole“. Heute starten wir daher mit dem Kapitel 4.9 „Gliederung“.

Die Gliederung eines Dokumentes ist maßgeblich für das Auffinden von Informationen. Schlechte Gliederungen in Dokumenten führen dazu, dass der Leser die gewünschten Informationen nicht oder nur schwer findet. Entsprechend wichtig ist daher das Thema auch für Betriebsanleitungen.

Die Norm fordert hier nichts außergewöhnliches, die Anforderung wird in der Regel sogar von schlechten Anleitungen erfüllt. Denn die Norm fordert nichts anderes als die Verwendung von Kapiteln, Abschnitten, Überschriften, Nummerierungen und andere Gestaltungselementen. Sprich alle Möglichkeiten, mit denen ein Redakteur Texte gliedern und formatieren kann.

Die Gliederung ist nicht so einfach wie es zunächst klingt

Die eigentliche Gliederung von Inhalten stelle ich jetzt erstmal hinten an. Denn das behandeln wir später in Kapitel 5, wo es auch eine empfohlene Gliederung gibt. Auch die Norm verweist hier auf das entsprechende Kapitel. Behandeln wir also erstmal die Gestaltungsmöglichkeiten.

Dieses Thema ist dabei komplexer, als die Norm es hier in den wenigen Zeilen beschreibt. Denn gerade das Erstellen von Kapitel, Überschriften und der überlegte Einsatz von Formatierungen können komplizierter sein, als man auf den ersten Blick sieht.

Werden zum Beispiel Formatierungen wie „Fett“, „Kursiv“ oder farbliche Hervorhebungen zu häufig verwendet, kann ein Leser keine Gliederung mehr erkennen. Auch ist es ihm nicht mehr möglich, wichtige Informationen von weniger wichtigen Informationen zu unterscheiden.

Treffende Überschriften formulieren

Dasselbe gilt für Kapitel, insbesondere für Überschriften. Hier muss der Redakteur treffende Bezeichnungen finden, mit denen der Leser klar erkennen kann, welche Informationen er unter dem Kapitel findet.

Ein Beispiel: Eine Maschine wird über eine Steuerung mit Touchdisplay gesteuert. Dort gibt es eine Anzeige zum Wechsel des Fräsers. Die Anzeige trägt auch diese Bezeichnung. Entsprechend der Normen sollten auch Displayanzeigen in der Betriebsanleitung erläutert werden. Arbeitet der Redakteur nun hierbei nicht sauber, kann es dazu führen, dass er im Inhaltsverzeichnis zwei Mal ein Kapitel „Wechsel des Fräsers“ hat. Einmal die Tätigkeit für den Bediener und einmal die Erläuterung der Displayanzeige.

Die Folge ist, dass der Bediener beide Kapitel prüfen muss, um die gewünschte Information zu finden. Der Redakteur kann es jedoch auch gut lösen. Zum Beispiel durch die Gliederung. Wenn die Displayanzeige auf der 4. Ebene liegt und das Inhaltsverzeichnis nur 3 Ebenen darstellt, steht im Inhaltsverzeichnis nur das Kapitel „Bedienanzeigen“, eine Doppelung ist verhindert. Oder er passt die Überschriften an. Mit der Überschrift „Bedienanzeige – Wechsel des Fräsers“ ist klar definiert, welche Informationen im Kapitel zu finden sind.

Vollständigkeit des Dokumentes

Sie sehen, die Norm gibt zu diesem komplexen Thema nur wenige Informationen, entsprechend ist der Redakteur bei der Umsetzung gefragt. Daneben fordert die Norm, dass der Leser anhand der Gliederung erkennen können muss, ob das Dokument vollständig ist. Auch das kann komplizierter sein, als es sich anhört.

Als Hilfestellung verweist die Norm auf das Inhaltsverzeichnis und die Seitennummerierung. Das Inhaltsverzeichnis ist aus meiner Erfahrung wohl ein kritisches Thema. Gerade, falls es ein sehr komplexes und umfangreiches Produkt ist. Denn sobald die Technische Dokumentation mehr als einen Ordner umfasst, wird das Thema komplexer. Dann benötigt man schon ein Über-Inhaltsverzeichnis für die einzelnen Ordner.

Da ein Verzeichnis außerdem übersichtlich sein soll, stellt es in der Regel nicht mehr als 3 Ebenen dar. Aber wenn der letzte Eintrag auf die Seite 400 verweist, bedeutet das nicht, dass das Dokument auf Seite 400 endet. Es könnte auch weiter gehen.

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Zusammenspiel mit Seitennummerierung

Noch komplexer wird das Thema, wenn außergewöhnliche Seitennummerierungen wie „Kapitel 1, Seite 5“ gewählt werden und die Seitenzahl bei Kapitel 2 von vorne beginnt. Denn hier fällt es dem Leser ebenfalls schwer erkennen zu können, ob das Kapitel mit Seite 5 endet oder nicht.

Die Gestaltung von Verzeichnissen und Seitennummerierungen hängen für mich daher stark mit dem Produkt und dem Erklärungsumfang zusammen. Bei kleinen Produkte wie Handkreissägen ist das Thema einfach zu handhaben. Aber die Norm gilt auch für Anlagen und Produktionsketten. Und dort muss der Redakteur oder die Abteilung sich entsprechende Gedanken machen.

Daher ist es für mich auch nicht verwunderlich, dass die Norm das Thema nur so wenig behandelt. Es ist zu sehr vom Produkt abhängig, um eine generelle Empfehlung zu geben. Sollten Sie sich aber nun Fragen, wie wir das Thema häufig handhaben: Wir verwenden meist eine durchgängig Seitennummerierung, sprich von Seite 1 bis Seite 999. Da wir am Ende des Dokumentes unseren Index des Dokumentes pflegen und dieser somit immer auf der letzten Seite steht, ist sogar aus dem Inhaltsverzeichnis klar, dass das Dokument 999 Seiten haben muss. Außerdem verwenden wir bei umfangreichen Dokumenten die Seitenangabe Seite X von Y. So ist auf jeder Seite erkennbar, wie viele Seiten das gesamte Dokument hat.

Hinweis auf Restrisiken

Kommen wir nun zu einem ebenfalls wichtigen Thema in der Norm. Kapitel 4.10 behandelt das Thema „Restrisiken“, es umfasst dabei zwei Unterkapitel. Für mich ist das Kapitel deshalb wichtig, weil es die Schnittstelle zur Risikobeurteilung ist. Dort werden alle Gefahren ermittelt und soweit es geht beseitigt. Gefahren die nicht beseitigt werden können, werden in der Betriebsanleitung als Restrisiken aufgeführt.

Und genau da setzt die Norm auch an. Das erste Unterkapitel trägt den Titel „Allgemeines“ und fordert im ersten Satz dass die Restrisiken auf Basis einer Risikobeurteilung, risikomindernden Maßnahmen und der Zielgruppenanalyse ermittelt und in der Anleitung aufgeführt werden.

Sprich hier schlägt die Norm den Bogen zur Norm DIN EN ISO 12100 „Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung“. Das ist die Norm zum Thema Risikobeurteilung für Maschinen, ebenfalls eine harmonierte Norm zur Maschinenrichtlinie und hoffentlich jedem Maschinenhersteller bekannt.

Ohne Risikobeurteilung keine CE-Kennzeichnung

Sollte Ihnen als Hersteller von Maschinen diese Norm oder der Begriff „Risikobeurteilung“ nichts sagen, empfehle ich Ihnen dringend Ihren CE-Prozess zu überprüfen. Und sollten Sie dies nicht können, ziehen Sie unbedingt einen entsprechenden Berater wie uns hinzu. Denn genaugenommen gibt es ohne eine Risikobeurteilung keine CE-Kennzeichnung. Bringen Sie das CE-Zeichen dennoch an, ist das eine missbräuchliche Anbringung, hier drohen Bußgelder, Haftstrafen und schlimmeres.

Angabe von Restrisiken

Aber zurück zu der Angabe von Restrisiken in der Anleitung. Die Ergebnisse der Risikobeurteilung müssen in die Anleitung übernommen werden. In diesem Zuge auch gleich einen Hinweis an die Ersteller von Risikobeurteilungen, falls diese hier zuhören: Ein einfacher „Hinweis in die BA“ genügt nicht! Geben Sie Ihren Redakteuren mehr Informationen. Es muss klar ersichtlich sein, was genau in die Anleitung soll. Ein Warnhinweis? Was ist das Signalwort? Woher kommt die Gefahr? Welche Folgen gibt es? Und wie kann die Gefahr vermieden werden?

Dann kann der Redakteur den Leser richtig und vollständig auf die Restgefahr hinweisen. Dabei muss der Redakteur das Wissen der Zielgruppe berücksichtigen. Allgemeine Aussagen zu Restrisiken müssen vermieden werden. Damit meint die Norm: Eine Elektrofachkraft weiß, dass Strom tödlich ist, entsprechend sinnlos sind Warnhinweise das ein elektrischer Schlag lebensgefährlich sein kann. Aber ist auch für die Fachkraft nicht erkennbar wo ein elektrischer Schlag stattfinden kann, benötigt auch sie einen passenden Warnhinweis.

Zu Erläuterung von Restrisiken gehören laut der DIN EN ISO 20607 dabei nicht nur eine grobe Auflistung von Warnhinweisen. Die Norm fordert dabei, dass die Restrisiken erläutert und erklärt werden. Der Leser soll so alle Informationen bekommen, damit er weitere, risikomindernde Maßnahmen einleiten kann. Damit ist gemeint: Wenn der Redakteur schreibt, dass der Leser Schutzausrüstung tragen soll, kann es der Leser auch tun. Wenn nichts davon in der Anleitung steht, besteht das Risiko, dass der Leser keine Schutzausrüstung trägt.

Angabe von Signal- und Warneinrichtungen

Um die Bediener von Maschinen auf Gefahren aufmerksam zu machen und davor zu schützen, werden auch häufig technische Schutzmaßnahmen und Signale sowie Warneinrichtungen verwendet. Um dieses Thema kümmert sich das zweite Unterkapitel, es ist jedoch sehr kurz und umfasst nur 2 Zeilen.

Die Norm stellt dabei die einfache Anforderung, dass Signale und Warneinrichtungen an der Maschine in der Dokumentation erläutert und deren Bedeutung beschrieben werden. Sprich die Anleitung muss ein Kapitel dazu umfassen, das dem Leser klar macht, wie Restrisiken an der Maschine vermieden werden und welche Bedeutung entsprechende Signale haben.

Dieses Kapitel beanstanden wir regelmäßig in unseren DokuChecks. Den häufig haben Maschinen Schutzeinrichtungen und Signallampen, jedoch werden diese in der Anleitung mit keinem Wort erklärt oder aufgeführt. Stattdessen hoffen die Hersteller, dass dem Bediener die Bedeutung einer blinkenden, gelben Signalleuchte klar ist. Denn das verwendet ja jeder Hersteller. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Bedeutungen, die ich über die Jahre in diesem Bereich machen durfte, meiner Meinung nach ein schwerwiegendes Risiko. Die Erläuterung in der Anleitung hingegen einfach umzusetzen und klar.

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Das Kapitel ohne Konformitätsvermutung

Kommen wir nun zu Kapitel 4.11. Ein besonderes Kapitel. Denn dieses Kapitel ist von der Konformitätsvermutung ausgeschlossen. Zur Erinnerung: Nicht alle Kapitel dieser Norm lösen die Konformitätsvermutung zur Maschinenrichtlinie aus, Kapitel 4.11 wird davon ausgeschlossen. Das hatte ich in der ersten Folge bereits erwähnt.

Doch worum geht es in Kapitel 4.11? Das Kapitel trägt den Titel „IT-Sicherheitsschwachstellen“ und ist gerade im Zeitalter der Digitalisierung und Industrie 4.0 entsprechend wichtig. Doch warum wird dieses ausgeschlossen?

Meiner Einschätzung nach ist dieses Kapitel nur eine Zeitlang von der Konformitätsvermutung ausgeschlossen. Der Grund liegt für mich daran, dass die Maschinenrichtlinie das Thema bisher nicht behandelt. Kein Wunder, bedenkt man, dass die aktuelle Fassung der Richtlinie bereits 2006 veröffentlicht wurde. Damals war das kein Thema, wie es heute ist. Ich vermute daher, dass mit der neuen Maschinenrichtlinie die vermutlich 2023 erscheinen wird, das Thema aufgegriffen wird und entsprechend dann eine Vermutungswirkung bekommen wird.

Was sagt das Kapitel zur IT-Sicherheit?

Entsprechend dürftig sind die Informationen in der Norm. Den hier steht nur: Falls relevant, muss die Betriebsanleitung Informationen zu IT-Sicherheitsschwachstellen liefern. Siehe ISO/TR 22100-4:2018, Kapitel 10.4.

Was bedeutet das für die Hersteller? Da ich die Norm nicht kenne, ist es an dieser Stelle für mich nicht möglich die Anforderungen zu spezifizieren. Jedoch kenne ich die Gedanken und Wege, wohin sich das Thema entwickelt.

Der große Schwerpunkt ist hierbei, dass eine Maschine gehackt und Sicherheitseinrichtungen manipuliert werden könnten. Das Ziel der EU und der künftigen Maschinenrichtlinie wird also sein, dass solche IT-Schwachstellen verhindert werden sollen. Ein Hersteller sollte sich hierbei also überlegen, welche Schnittstellen es gibt und ob über diese die Funktion von Sicherheitseinrichtungen beeinflusst werden könnte. Solche gefährlichen Schnittstellen müssen verhindert werden. Wo dies nicht möglich ist (da sonst z. B. die Funktion oder Kommunikation mit andere Maschinen verhindert wird), muss in der Dokumentation entsprechend darauf hingewiesen werden. Damit der Betreiber der Maschine über diese Gefahren informiert wird und Gegenmaßnahmen treffen kann.

Vermeidung der Kaperung

Zeitgleich soll mit Informationen auf diese Schwachstellen verhindert werden, dass Maschinen durch Hacker gekapert oder gekidnappt werden, um sie für andere Zwecke zu missbrauchen. Denn wir sehen das Ganze bereits im Bereich der Niederspannungsrichtlinie bzw. bei Haushaltsgeräten, die dort darunter fallen.

Viele Geräte werden smarter und können durch IT-Anschlüsse mehr. Die Schwachstellen dort sind immens und die Geräte leicht zu hacken. Das Resultat sehen wir dann, wenn solche Geräte von Hackern gekidnappt werden, um Server von Unternehmen zu überlasten oder um andere kriminelle Handlungen durchzuführen. Eine Ursache hier sehe ich darin, dass sich die Hersteller dieser Geräte nur auf die Vorteile und den Hype um smarte Geräte konzentriert haben, das Thema aber in der Risikobeurteilung vollkommen vergessen haben. Und das sollte bei Maschinen auf jeden Fall nicht passieren.

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