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Extra #022 Rechtliche Grundlagen der Risikobeurteilung

Extra #022 Rechtliche Grundlagen Der Risikobeurteilung

Die Bedeutung der Risikobeurteilung für den Maschinen- und Anlagenbau ist weitläufig bekannt. Der Begriff „Risikobeurteilung“ wird sogar wortwörtlich in der Maschinenrichtlinie aufgeführt. Entsprechend klar ist den Herstellern die Bedeutung des Dokumentes, insbesondere wenn es zu Haftungsfällen mit dem Produkt kommt.

Auch für die Betriebsanleitung und die Kennzeichnung des Produktes hat die Risikobeurteilung eine große Bedeutung. Denn während der Durchführung der Risikobeurteilung werden die Sicherheits- und Warnhinweise für die Anleitung sowie die am Produkt anzubringenden Aufkleber definiert und festgelegt.

Wird die Risikobeurteilung dagegen nicht oder nur unzureichend durchgeführt, führt dies zwangsweise zu einer schlechten Betriebsanleitung. Die schlechte Anleitung oder die unbrauchbaren Warnhinweise am Produkt führen dazu, dass der Verwender des Produktes Fehler macht. Das Risiko einer Verletzung und ein damit eingehender Produkthaftungsfall steigt. Der Hersteller lässt damit außerdem Schlupflöcher zu, die bei einem Haftungsfall gegen ihn verwendet werden können.

Was ist eine Risikobeurteilung?

Doch was ist die Risikobeurteilung eigentlich? Vereinfacht gesagt, definiert der Hersteller in diesem Prozess das Produkt, seinen Verwendungszweck, Einsatz- und Umgebungsbedingungen. Nach dieser Definition betrachtet er die Aufgaben, die Menschen mit oder an dem Produkt durchführen und wie das Produkt verwendet wird. Außerdem werden weitere, möglicherweise eintretende Situationen und damit verbundene Schäden analysiert und dokumentiert.

Gefundene Risiken und damit verbundene Verletzungen werden dann über Risikographen eingestuft. Hier spielen Faktoren wie die Dauer des Aufenthalts im Gefahrenbereich, die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Folgen eine wichtige Rolle. Ist ein Risiko auf diese Weise bewertet, wählt der Konstrukteur Lösungsmöglichkeiten aus, um das Risiko so weit wie möglich zu reduzieren.

Wurde ein Risiko durch eine Maßnahme reduziert, wird es erneut bewertet und ggf. mit weiteren Maßnahmen weiter reduziert. Ziel ist es, alle Risiken soweit es geht zu verhindern. Häufig tritt dabei die Situation auf, dass es entweder technisch nicht mehr möglich ist, das Risiko weiter zu reduzieren oder es schlicht und ergreifend auch nicht mehr wirtschaftlich wäre, weitere Maßnahmen zu ergreifen. So entstehen die sogenannten Restrisiken, die in der Betriebsanleitung enthalten sind und vor denen meist auch über Piktogramme und Aufkleber am Produkt warnen. Sollten Sie weitere Informationen zur Risikobeurteilung selbst benötigen, empfehle ich Ihnen unsere Podcast-Reihe zu dem Thema.

Risikobeurteilung als Teil des Prozesses zur CE-Kennzeichnung

Die große Bedeutung dieses Dokumentes ist daher häufig im Maschinen- und Anlagenbau bekannt. Ein Grund dafür ist, dass die Maschinenrichtlinie die Erstellung der Risikobeurteilung wortwörtlich fordert. Und zwar direkt im ersten Satz in Anhang 1 für die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen. Dort steht: „Der Hersteller einer Maschine oder sein Bevollmächtigter hat dafür zu sorgen, dass eine Risikobeurteilung vorgenommen wird, um die für die Maschine geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu ermitteln. Die Maschine muss dann unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobeurteilung konstruiert und gebaut werden.“

Dieser Absatz zeigt dem Leser außerdem auf, wann er die Risikobeurteilung zu erstellen hat. Nicht nach der Konstruktion und schon gar nicht, bei der Inbetriebnahme beim Kunden. Sondern vor der Konstruktion, während der Planung der Maschine.

Die Risikobeurteilung ist im Prozess der CE-Kennzeichnung so tief verankert, dass man sagen kann, dass die CE-Kennzeichnung erst auf der Maschine angebracht werden darf, wenn es eine Risikobeurteilung für das Produkt gibt. Wird trotz fehlender Risikobeurteilung die Kennzeichnung angebracht und somit die Konformität bescheinigt, begeht der Hersteller eine missbräuchliche Anbringung der CE-Kennzeichnung.

Risikobeurteilung bei anderen CE-Richtlinien

Aber nicht nur die Maschinenrichtlinie fordert die Erstellung und Durchführung einer Risikobeurteilung. Denn auch andere CE-Richtlinien fordern inzwischen die Erstellung des Dokumentes. Leider nimmt die EU die Terminologie dabei nicht allzu ernst und das Dokument bzw. der Prozess trägt in verschiedenen Richtlinien verschiedene Bezeichnungen. Meist ist sie als Teil der technischen Unterlagen aufgeführt.

So spricht die Niederspannungsrichtlinie in Ihrem Anhang 3 zur internen Fertigungskontrolle von der Erstellung einer geeigneten Risikoanalyse und Risikobewertung. Beide Begriffe sind Teil der Risikobeurteilung. Die Risikoanalyse ist die schematische Suche und Identifizierung von möglichen Gefahren. Die Risikobewertung ist wie der Name schon sagt, die Bewertung der gefundenen Gefahren und deren Folgen.

Entsprechend fordert auch die Niederspannungsrichtlinie die Durchführung einer Risikobeurteilung. Wem diese Interpretation der Richtlinie zu wenig ist, dem Empfehle ich als Lektüre den CENELEC Guide 32 mit dem Titel „Leitfaden für die sicherheitsrelevante Risikobeurteilung und Risikominderung für Niederspannungsbetriebsmittel“.

Eine ähnliche Situation findet sich bei so gut wie allen anderen CE-Richtlinien. Alle fordern die Erstellung und Durchführung einer Risikobeurteilung, auch wenn teilweise andere Begriffe verwendet werden. Aber da der Prozess immer Teil der technischen Unterlagen ist, kann man ihn dort meistens finden.

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Risikobeurteilung bei Produkten ohne CE-Kennzeichnung

Verlassen wir daher die CE-Kennzeichnung und betrachten wir Produkte, die nicht unter die CE-Kennzeichnung fallen. Auch für diese Produkte gibt es Regeln in Bezug auf die Sicherheit, die ein Hersteller einhalten muss.

Diese Anforderungen wurden vom deutschen Gesetzgeber im sogenannten Produktsicherheitsgesetz zusammengefasst. Lassen Sie sich jedoch nicht verwundern, das Gesetz basiert auf einer europäischen Richtlinie und ist in dieser Form in allen Mitgliedsstaaten der EU vorhanden.

Durchsucht man den Gesetzestext nach den Begriffen „Risikobeurteilung“ oder „Risikoanalyse“ findet man hier keine Treffer. Leider ist auch bei diesem Text wenig Wert auf die Terminologie gelegt worden. Den Begriff „Risikobewertung“ findet man stattdessen, jedoch nur in Bezug auf die Marktüberwachung. Ein ähnlicher Begriff wird in Zusammenhang mit dem Hersteller auch nicht verwendet.

Produktsicherheitsgesetz enthält keine ähnlichen Begriffe

Muss also für ein Produkt, dass nur unter dieses Gesetz fällt, keine Risikobeurteilung erstellt werden? Nun lassen Sie sich vom Gesetzgeber nicht in die Irre führen. Denn die Anforderung ist etwas versteckt formuliert worden.

In § 3 „Allgemeine Anforderung an die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt“ finden Sie unter Absatz (1) Nummer 2 folgende Anforderung: „die Sicherheit und Gesundheit von Personen … bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung nicht gefährdet“

Der Gesetzgeber sagt also, dass Sie Ihr Produkt nur dann auf dem Markt bereitstellen dürfen, wenn es die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet. Hier steht kein Wort von der Erstellung einer Risikobeurteilung.

Doch jetzt drehen wir den Satz mal um: Wie können wir als Hersteller den behaupten, dass keine Gefahr vom Produkt ausgeht? Eine einfache Aussage reicht nicht! Wir müssen es belegen können. Und hierfür benötigen wir eine Risikobeurteilung, die alle Gefahren bewertet und die getroffenen Maßnahmen beschreibt.

Situation in anderen Staaten

Wie Sie sehen, können Sie für Produkte für den deutschen oder europäischen Markt nicht auf die Erstellung einer Risikobeurteilung verzichten. Den spätestens das Produktsicherheitsgesetz bzw. dessen ursprüngliche Richtlinie fordert Sie indirekt zur Durchführung dieser auf.

Aber die Welt ist größer als die EU. Wie sieht es also in anderen Staaten aus? Wir werden auf die fehlende Risikobeurteilung häufig im Kontext der Überarbeitung der Betriebsanleitung aufmerksam. Zum Beispiel wenn Kunden auf den amerikanischen Markt wollen und eine gute Anleitung dafür benötigen. Denn häufig ist bekannt, dass schlechte Anleitungen zu Haftungsrisiken werden können.

Wie ich eingangs erwähnt habe, ist für eine gute Anleitung eine gute Risikobeurteilung notwendig. Und dennoch sind die Kunden dann verwundert, wenn ich nach der Risikobeurteilung frage. Leider habe ich auch hier bereits häufiger falsche Aussagen wie „braucht man nicht für die USA“ gehört.

Spätestens als die „DIN EN ISO 12100 Sicherheit von Maschinen – Risikobeurteilung“ im Jahr 2012 als ANSI Standard übernommen wurde, hat die Risikobeurteilung auch in den USA an Bedeutung gewonnen.

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Wechselwirkung mit dem Produkthaftungsgesetz

Sollte Ihnen nun der Einwand „Normen sind nicht bindend“ kommen, muss ich Ihnen Recht geben. Die Einhaltung von Normen fordert kein Gesetzgeber. Zumindest nicht direkt. Was ich hier im Detail meine, finden Sie im entsprechenden Podcast zum Thema.

Aber Normen haben in diesem Thema erstmal eine geringere Bedeutung. Spielen wir das Szenario also einmal beispielhaft durch. Wir verkaufen Produkte in die USA ohne Risikobeurteilung. Wie eingangs erwähnt, hängt die Qualität der Betriebsanleitung stark mit der Risikobeurteilung zusammen. Da die Risikobeurteilung nicht gemacht wurde, ist die Anleitung sagen wir mal nur zu 90% vollständig und gut. Die verbliebenen 10% sind übersehene Restrisiken.

Und jetzt tritt genau das ein: Von 100 Nutzern verletzen sich 5 durch die Restrisiken, einige schwer. Zwangsweise stehen Sie vor Gericht, die gesetzliche Grundlage ist das Produkthaftungsgesetz. Und diese Art von Gesetz gibt es so gut wie in jedem Staat, nicht nur in Europa oder den USA. In China heißt dieses „Law of the People’s Republic of China on Product Quality“. Dieses stammt aus dem Jahr 1993 und fordert vom Hersteller die Bereitstellung von Informationen für den Benutzer für den sicheren Umgang mit dem Produkt. Ja, auch China fordert die Erstellung einer Betriebsanleitung und das sogar in Chinesisch!

Im Zuge des Gerichtsprozesses wird dann überprüft, wieso sich die Benutzer an Ihrem Produkt verletzt haben. Entsprechend unserem Beispiel stellt sich heraus, dass die Informationen zu den Restrisiken fehlen, da keine Risikobeurteilung gemacht wurde. Sie haben somit gegen die Bestimmungen des Marktes, also die Bereitstellung von sicheren Produkten, verstoßen und stehen vor Gericht schonmal schlechter dar, als notwendig. Es drohen also Folgen wie Bußgelder oder auch Haftstrafen für Verantwortliche. All das, weil die Risikobeurteilung nicht durchgeführt wurde.

Wie Sie sehen, ist es unbedingt ratsam, eine Risikobeurteilung durchzuführen. Egal um was ein Produkt es sich handelt. Denn die möglichen Folgen sind meist sehr teuer und unangenehm. Denn ich bin auf die Folgen nur oberflächlich eingegangen. Je nach Staat und Schwere der Verletzung können noch andere Folgen wie Imageschäden eintreten. Aber das wäre im Detail zu viel für diese Folge und auch immer im jeweiligen Einzelfall zu betrachten.

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