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US-P #008 Boeing, der größte Haftungsfall der Luftfahrtgeschichte?

Haftungsfall Boeing Produkthaftung

Der neuste Haftungsfall dreht sich um Boeing und seine beiden abgestürzten Flieger des Modells 737 Max. Dieser Fall ist aktuell noch in der Entstehung und wird noch nicht gerichtlich verhandelt. Jedoch hat der Fall das Potenzial, zum größten Haftungsfall der Luftfahrtgeschichte zu werden.

Haftungfall Boeing - Der Anfang

Schauen wir uns zunächst einmal an, was überhaupt passiert ist. Im Oktober 2018 ist eine neue Boeing 737 Max 8 der Fluggesellschaft Lion Air vor der indonesischen Küste abgestürzt und 189 Menschen starben. Im März dieses Jahres stürzte ebenfalls eine baugleiche, neue Maschine in der Nähe der äthiopischen Hauptstadt ab und wieder starben 157 Personen.

Sprich zusammengefasst 346 getötete Personen, 2 Abstürze innerhalb eines halben Jahres, und der gleiche Flieger, ein neues Modell des Herstellers Boeing.

Zwar gibt es keine aktuell offensichtlichen Sicherheitsfehler, jedoch haben die Luftfahrtgesellschaften aufgrund der Ähnlichkeiten Rückschlüsse gezogen. Denn beiden Maschinen sind bei der Startphase verunglückt und das, bei jeweils guten Wetterverhältnissen.

Die Folgen dieser Gemeinsamkeiten

Die Folgen sind eine klare Ansage an den Hersteller Boeing. Die Luftfahrtbehörden der europäischen Union, China, Indonesien, Äthiopien, Singapur, Australien sperrten den Luftraum für die entsprechenden Maschinen. Sie dürfen nicht mehr starten und haben ein Flugverbot.

Allein in China sind dabei mehr als 100 Flugzeuge betroffen. Am 13. März zog die mächtige US-Luftfahrtbehörde FAA ebenfalls ein Flugverbot nach. Zwischenzeitlich sind es mehr als 310 Maschinen, die am Boden bleiben müssen. Boeing selbst reagierte ebenfalls und empfahl allen Fluggesellschaften ein vorübergehendes Startverbot für alle 371 Flugzeuge der Baureihe.

Welcher Schaden entsteht dadurch?

Schaut man sich diese Verbote an, fragt man sich unweigerlich, wie hoch der finanzielle Schaden bereits ist. Boeing hat aktuell von diesem Modell die vorhin erwähnten 371 Flugzeuge verkauft, mehr als 5.000 weitere sind bestellt. Die 737 Max ist eines der bestverkauften Flugzeuge von Boeing. Jeder Flieger kostet rund 120 Millionen Dollar.

Doch zig Fluggesellschaften sind betroffen und haben Flugzeuge, die nicht abheben dürfen. Sie müssen nun die Flüge mit Ersatzmaschinen belegen, es kann zu Verzögerungen und Engpässen für die Passagiere kommen. Die Airlines verlieren dadurch mit jedem weiteren Tag das Vertrauen in Boeing und werden sich überlegen, die Bestellungen zu stornieren und zu Airbus zu wechseln. Allein die indonesische Airline Lion Air erwägt den Wechsel und hier geht es allein um 190 Bestellungen.

Die Kosten für die Begleichung der Ansprüche der Passagiere bzw. deren Hinterbliebenen werden aktuell auf mehr als eine Milliarde geschätzt. Hinzukommen die Regressansprüche der Fluggesellschaften für den Aufwand und die zusätzlichen Kosten. Die Kosten für die Analyse und Fehlerbehebung auf Seiten von Boeing oder für einen kommenden Gerichtsprozess noch gar nicht mit eingenommen. Sprich es könnte in diesem Fall eine sehr hohe Summe für Boeing zusammenkommen. Einige sprechen bereits vom größten Haftungsfall der Luftfahrtgeschichte mit einem mehrfachen Milliardenschaden.

Allein die Airlines müssen nach dem Montrealer Übereinkommen den Hinterbliebenen der Abstürze pro Person bis zu 120.000 Dollar Schaden bezahlen. Allein hierbei kommen wir auf rund 41 Millionen Dollar, die wiederum die Airlines von Boeing zurückfordern werden.

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Effiziente Flugzeuge – oder unternehmerisches Scheitern

Seit Jahren sind die Entwicklungen in der Luftfahrt von denselben Zielen angetrieben wie in anderen Bereichen. Die Ziele sind größere Reichweite der Flieger, weniger Treibstoffverbrauch, mehr Nutzlast und minimale Wartung. Das Ziel: Die Flugzeuge immer effizienter zu gestalten.

Der herrschende Druck dabei ist groß. Erfüllt das Modell der Konkurrenz den Anforderungskatalog der Fluggesellschaften besser, geht der Auftrag an diesen. Weiterentwicklung von bestehenden Modellen ist aufgrund dieser Anforderungen schwierig und sehr kostspielig. Geschehen dann wie in diesem Fall noch zusätzliche Abstürze oder Unfälle, ist das Image des Unternehmens schnell ruiniert und das Unternehmen steht vor dem Abgrund.

Zusammenhang der Produkthaftung mit den Abstürzen

Doch ob es soweit kommt, ist noch unklar. Zu undeutlich sind die bisherigen Erkenntnisse zu den beiden Abstürzen. Ein klarer Zusammenhang wurde bis jetzt noch nicht hergestellt, aber es gibt Indizien. Und diese Indizien weisen auf einen Designfehler hin, wodurch die Produkthaftung zustande kommt.

Zur Erinnerung: Ein Design- oder auch Konstruktionsfehler liegt dann vor, wenn ein Produkt nicht den berechtigten Erwartungen seiner voraussehbaren Benutzer entspricht oder Konstruktionsalternativen nicht berücksichtigt wurden, die den Schaden hätte verhindern können.

In meinem Podcast und der ersten Folge der Reihe zeigte ich den Konstruktionsfehler anhand eines Beispiels auf: Dort war es das Auto, das nicht schneller als 25 km/h fahren konnte, da es bei höherer Geschwindigkeit auseinander fällt und so für die Insassen gefährlich wurde.

Das damalige Beispiel hatte ich im Zuge des Podcasts konstruiert, da ich kein einfaches und verständliches Beispiel dafür finden konnte. Im Zuge dieser Folge können wir es nun besser darstellen. Dazu müssen wir jedoch etwas weiter ausholen, um auch die Umstände der Entwicklung in dieser Branche nachvollziehen zu können.

Geschichte des 737 Max – Konkurrenzkampf mit Airbus

Mit diesen Hintergrundinformationen schauen wir uns die Entwicklung der Boeing 737 Max an. Die Vorgängerversion des Flugzeugs war ein Bestseller für Boeing. Anfangs war der Plan, die Maschine komplett neu zu entwickeln und alles harmonisch aufeinander abzustimmen. Kein Herumbasteln an einem bereits gebauten Flugzeug, sozusagen alles aus einem Guss.

Doch der harte Konkurrenzkampf mit Airbus änderte dies. Als 2011 Airbus entschied seinen A320 mit neuen, sparsameren Triebwerken auszurüsten geriet Boeing unter Zugzwang. Den es war keine Zeit mehr, das Flugzeug neu zu entwickeln, wie ursprünglich geplant. Das Management änderte die Strategie kurzfristig, es fehlte außerdem an Geldern und Ingenieuren für eine Neuentwicklung.

Man versuchte also etwas Ähnliches wie Airbus. Dort wurde ein neues Triebwerk des Herstellers CFM verbaut, das mehr Schub als ältere Triebwerke produziert und dabei rund 15% weniger Kerosin verbraucht.

Doch das Design der uralten Boeing 737, welche übrigens zum ersten Mal 1967 flog, passte vermutlich nicht mit der neuen, super modernen Riesendüse aus dem 21. Jahrhundert zusammen. Das neue Triebwerk passt kaum unter die Tragfläche, da das Fahrgestell der 737 zu niedrig ist. Dies ist einer der Vorteile von Airbus, da dort fast jedes Triebwerk unter die Flügel passt.

Anpassung der Montage – Grund für den Absturz?

Boeing passt also seinen Flieger an. Sie verlängerten das Fahrwerk um ein paar Zentimeter und brachten den Motor höher und weiter vorne an der Tragfläche an. Dadurch veränderte sich aber auch die Aerodynamik des Flugzeugs. Die neuen Triebwerke lieferten zusätzlichen, unerwünschten Auftrieb, der das Flugzeug zu steil steigen lassen könnte. Daher bauten die Ingenieure eine Sicherung ein, die für den Abbruch des Auftriebs sorgt.

Das Computerprogramm MCAS sollte das Steuerhorn automatisch zurückfahren, wenn der Flieger zu steil flog. Der Computer drückt also die Nase des Fliegers dadurch automatisch nach unten. Durch zwei Knöpfe lässt sich das Programm deaktivieren, sollte es die Piloten stören. Im normalen Reiseflug sollte es angeblich keine Rolle spielen.

Doch die Auswertung der Abstürze zeigt vermutlich etwas anderes. Denn den Daten zufolge sprang das Flugzeug nach dem Start durch die Luft, wie ein Delphin durch die Wellen. Nach Steigflügen gab es immer wieder Sturzflüge, die wiederum durch Steigflüge abgelöst wurden. Bis es schlussendlich zum Absturz kam.

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Der Konstruktions- und Designfehler

Um nun wieder zur Produkthaftung zurückzukommen. Boeing verbaute neue Triebwerke, für die das Modell nicht geeignet war. Man passte es also so an, dass die neuen Triebwerke funktionierten, musste aber neue Anpassungen wegen der Aerodynamik vornehmen. Dies geschah durch die Software MCAS, die automatisch in den Flug eingriff und gegensteuerte. Sie konnte ausgeschaltet werden, sollte aber prinzipiell keinen Einfluss auf den normalen Flug haben.

Das sind viele technische Neuerungen für einen alten Vogel. Und in diesem Zuge ist auch besonders, dass zuvor die Boeing 737 nie mit viel Technik ausgestattet war. Boeing verzichtete stattdessen sogar Großteils auf Automatisierungssysteme, im Gegensatz zum Konkurrenten Airbus. Sprich auch für die Piloten war es eine größere Umstellung da die Maschine nun viel mehr Technik besaß als zuvor.

Es sah sogar so aus, als ob Boeing den Einbau der Systeme am liebsten verschweigen wollte. Denn US-Piloten berichteten nach dem Absturz im letzten Jahr, dass weder das Flughandbuch der 737 Max noch in den Betriebsabläufen der Airlines ein Wort über MCAS verloren wurde. Es gab also keine Informationen zu einem so wichtigen Sicherheitssystem. Hier könnte man im Falle einer Klage auch einen „Failure to Warn“ (die mangelhafte Aufklärung) ableiten.

Der Flieger selbst war seinem Vorgängermodell jedoch so ähnlich, dass die Piloten nur einen Kurs im Selbststudium absolvieren mussten. Weitere Schulungen waren nicht vorgesehen. Daher ist im Falle einer Produkthaftungsklage auch entscheidend, wie offen Boeing das neue MCAS-System dokumentiert hat und ob dies auch seitens der Fluggesellschaften im Rahmen von Trainingsprogrammen geschult wurde.

Fazit und ein Blick in die Glaskugel

Sprich sollte die Software MCAS der Grund für die Abstürze sein, gibt es mehrere Ansatzpunkte seitens des Produkthaftungsrechts. Schaut man sich diese Indizien und die bekannten Informationen an, kann man sich schon die Schadenssummen in einer Klage vorstellen. Ohne weiteres könnte diese die Summe von Bayer im Glyphosat-Prozess übersteigen. Denn das alles zeichnet kein gutes Bild von Boeing.

Den nach dem ersten Absturz hätte man an Stelle von Boeing sofort reagieren müssen und ein Flugverbot für die Maschinen aussprechen müssen, bis der Grund dafür behoben wurde. So hätte der zweite Absturz vielleicht verhindert werden können. Amerikanische Anwälte werden hier wohl mit Profitgier, arglistiger Täuschung und Fahrlässigkeit gegenüber der Jury argumentieren.

Alles in allem kann man aber auch sagen, dass Boeing an einer möglichen Klage nicht bankrott gehen wird. Zu wichtig ist das Unternehmen für den amerikanischen Staat und zu erfolgreich ist es in der Rüstungsbranche. Aber ein Imageschaden bleibt auf jeden Fall.

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