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CE #14 Stolperfalle Innovation – Wenn plötzlich neue CE-Richtlinien anzuwenden sind

CE #14 Stolperfalle Innovation – Wenn Plötzlich Neue CE-Richtlinien Anzuwenden Sind

Innovationen und Neuheiten sind bei der Entwicklung und Weiterentwicklung von Produkten enorm wichtig. Denn häufig entscheiden sie darüber, ob ein Kunde ein Produkt kauft oder sich für ein vergleichbares Produkt vom Wettbewerber entscheidet. Entsprechend folgen die Hersteller den verschiedenen Trends bei der Weiterentwicklung von ihren Produkten. Aber dass diese Trends teilweise maßgeblich den Prozess der CE-Kennzeichnung beeinflussen können, wird dabei häufig übersehen. Dem Hersteller drohen dadurch häufig Strafen und Bußgelder, weil anzuwendende CE-Richtlinien nicht angewendet werden.

Der Prozess der CE-Kennzeichnung läuft theoretisch immer gleich ab. Über eine Recherche von Normen und Richtlinien ermittelt man die für das Produkt gültigen Regelwerke. Insbesondere die Richtlinien für die CE-Kennzeichnung sind dabei wichtig. Als Hersteller sollte man es unbedingt vermeiden, die Konformität zu einer CE-Richtlinie aufzuführen, die nicht zutrifft. Ansonsten entsteht hier schnell ein Missbrauch bzw. eine missbräuchliche Anbringung des CE-Zeichens und die damit verbundenen Sanktionen.

Durch diesen theoretisch immer selben Ablauf wird die Recherche, besonders bei bestehenden Produkten und deren Weiterentwicklung, häufig vernachlässigt. Es wurde ja bereits in der Vergangenheit eine Normen- und Richtlinienrecherche für das Produkt durchgeführt und das Produkt ist ja noch immer dasselbe. Es hat nur ein paar neue Funktionen erhalten, die aktuell im Markt angesagt sind. Also kein Grund diese Aufgabe erneut durchzuführen?

Falsch! Denn insbesondere diese neuen Funktionen sind häufig eine Stolperfalle und können unter Umständen den Prozess der CE-Kennzeichnung stark beeinflussen. Besonders Personen die sich nicht umfassend mit dem Thema CE-Kennzeichnung beschäftigen, unterschätzen diese Folgen auf verheerende Weise.

Dabei gibt es verschiedene Situationen und Konstellationen die eintreffen können. Diese werden nachfolgend durch verschiedene Beispiele erläutert.

Trügerisch: Klar anzuwendende CE-Richtlinien

Unser erstes Beispiel ist ein „einfaches“ Produkt wie zum Beispiel ein Tablet. Bei solch „einfachen“ und ungefährlichen Produkte passiert es häufig, dass die Recherche nach CE-Richtlinien unzureichend durchgeführt wird, weil die anzuwendende Richtlinie ja offensichtlich ist.

Bei einem Tablet dürfte jedem klar sein, dass dieses unter die Niederspannungsrichtlinie fällt. Das das Tablet unter die Funkgeräterichtlinie fällt, ist vielen ebenfalls klar. Denn wir benötigen schließlich einen WLAN-Adapter. Doch gibt es noch weitere Richtlinien? Viele Hersteller würden hier vermutlich mit der Recherche aufhören.

Bei einer Überprüfung durch eine Behörde kommt es dann zum bösen Erwachen. Die Konformität unseres Tablets nach Niederspannungsrichtlinie und Funkgeräterichtlinie ist korrekt. Jedoch fehlen 2 weitere CE-Richtlinien. Einmal fehlt die ROHS Richtlinie, die wir aufgrund des verbauten Akkus berücksichtigen müssen. Zum anderen fehlt die ErP-Richtlinie, die auch als Ökodesign-Richtlinie bekannt ist. Diese ist für die meisten elektronischen Produkte anzuwenden. Und gerade diese Richtlinie ist vielen unbekannt.

Die Behörde fordert nun vom Hersteller eine Nachbesserung und droht mit Bußgeldern und anderen Strafen. Doch leider kann auch diese Nachbesserung sehr teuer werden. Denn CE-Richtlinien fordern häufig Überprüfungen und Nachweise, in einigen Fällen ist dies mit konstruktiven Änderungen am Produkt verbunden. Es wird teuer. Eine ausführliche Recherche hätte dies verhindern können.

Diese Situation kommt im Übrigen vor allem dann vor, wenn die Produkte im Ausland günstig hergestellt und dann in den europäischen Markt importiert werden. Denn der Importeur beschäftigt sich häufig nicht mit dem Produkt und den gesetzlichen Anforderungen. Eine detaillierte Recherche wird nicht durchgeführt, da die offensichtlichen Richtlinien täuschen und als ausreichend erachtet werden. Die Prüfung durch eine Behörde wird dann häufig umso teurer, da die anderen Richtlinien nicht berücksichtigt wurden.

Der Desinfektionsmittelspender

Eine andere Situation könnte eine unklare Zuordnung zu den CE-Richtlinien sein. Das könnte zum Beispiel bei einem automatisierten Desinfektionsmittelspender eintreten. Unser Beispielgerät funktioniert wie folgt: Das Gerät erkennt über einen Sensor, dass sich eine Hand unter der Düse befindet und pumpt dann eine definierte Menge an Desinfektionsmittel durch die Düse auf die Hand. Ein Kontakt zwischen der Person und dem Gerät wäre dabei nicht notwendig, das Risiko einer Kontamination des Gerätes durch Viren gesenkt.

Die erste Frage: Fällt der Spender unter die Maschinenrichtlinie oder doch eher unter die Niederspannungsrichtlinie? Zweite Frage: Wie sieht es mit der Medizinprodukteverordnung aus? Spannend oder nicht? Wenn Sie möchten, können Sie hier nun gerne eine Pause einlegen und selbst eine Schlussfolgerung überlegen.

Die Frage nach der Niederspannungsrichtlinie ist irrelevant und war eine Falle. Aufgrund der verbauten Pumpe und der Sensoren ist die Maschinenrichtlinie auf jeden Fall anzuwenden und somit sind nur die Schutzziele der Niederspannungsrichtlinie einzuhalten.

Spannender dagegen wird es im Kontext der Medizinprodukteverordnung. Denn prinzipiell fällt der Desinfektionsmittelspender erstmal nicht darunter. Im Prinzip könnte er ja auch andere Mittel dosieren und fördern. Das Desinfektionsmittel selbst kann jedoch unter die Richtlinie fallen, hier kommt es auf den Verwendungszweck und die Zusammensetzung an.

Aber es gibt hier etwas besonderes: Der Einsatzort des Spenders ist enorm wichtig. Falls das Produkt in Kliniken und Krankenhäuser eingesetzt werden soll, muss es sehr viel strengere Normen und Anforderungen erfüllen, als ein Spender der im öffentlichen Raum verwendet wird. Hätten Sie das gewusst? Das zeigt, wie wichtig die Definition von Verwendungsgrenzen und Einsatzgebiet des Produktes sein kann und welche Gedanken während der Produktentwicklung gemacht werden müssen.

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Kundenwünsche die ein Produkt verändern

Aber nicht nur die anzuwendenden Richtlinien können eine Stolperfalle sein. Auch Kundenwünsche können problematisch werden. Denn auch diese häufig „einfachen“ Wünsche können unser Produkt maßgeblich verändern. Auch das ist etwas, was vielen Produktentwicklern ebenfalls nicht bewusst ist.

Insbesondere können diese ganz schön teuer werden. Denn einige CE-Richtlinien erfordern Messungen und Prüfberichte und teilweise konstruktive Umbaumaßnahmen um die Anforderungen zu erfüllen. Und das aufgrund eines „einfachen“ Kundenwunsches. Für mich ein klarer Grund warum nicht jeder Kundenwunsch erfüllt werden sollte.

Ich erkläre dies an einem Beispiel: Wir sind Hersteller von mobilen Sägewerken. Wir stellen also große Sägen her, die auf einem Fahrgestell montiert sind. So kann der Kunde das Sägewerk direkt an der Baustelle aufstellen, um vor Ort seine passenden Bretter herzustellen. Gesteuert wird die Maschine über eine SPS-Steuerung, damit auch CAD-Daten eingelesen werden können.

Einer unserer Kunden äußert nun den Wunsch einer WLAN-Anbindung der Maschine. Er möchte aus dem Büro heraus auf die Säge zugreifen können, damit Mitarbeiter CAD-Daten anpassen und direkt an die Säge auf die Baustelle übermitteln können. Der WLAN-Adapter selbst ist recht günstig, gegen einen Aufpreis könnte dieser Wunsch kostengünstig umgesetzt werden. Und wir hätten ein smartes Sägewerk. Klingt doch gut, oder?

Nun aus Sicht des Vertriebs und Marketings sicher. Aus Sicht der CE-Kennzeichnung ist diese Erweiterung jedoch mit Vorsicht zu genießen. Denn durch den WLAN-Adapter wird für uns die Funkgeräterichtlinie relevant. Wir müssen also deren Anforderungen prüfen und erfüllen. Es ist weit mehr Aufwand als die Beschaffung und Anbindung des Adapters. Und in naher Zukunft kommt mit der neuen Maschinenverordnung vermutlich noch das Thema Cybersecurity dazu. Die Erfüllung des Kundenwunsches sollte also gründlich überlegt werden.

Trend Smart-Home - die „smarte“ Falle

Und dies ist auch eine schöne Überleitung zum letzten großen Thema dieser Folge. Den Trends die die Produktentwicklung beeinflussen. Allen voran die „smarten“ Produkte. Denn nicht nur unser Sägewerk fällt unter die Funkgeräterichtlinie, sondern alle Produkte die auf irgendeine Weise mit einem Netzwerk kommunizieren können. Egal ob Bluethooth oder WLAN.

Ein schönes Beispiel hierfür sind auch Küchengeräte. Auch diese wurden in den letzten Jahren immer „smarter“. Durch die Anbindung ans WLAN können Kochrezepte auf die Küchenmaschine heruntergeladen werden und die Einkaufslisten für die Zutaten mit Handy und Kühlschrank abgeglichen werden. Ja, das kann die Arbeit erleichtern und das Leben angenehmer machen. Aber man darf auch die andere Seite nicht vernachlässigen. Durch die Anbindung der Geräte müssen neue Richtlinien berücksichtigt und Anforderungen erfüllt werden. Und das schlägt sich später im Preis des Produktes nieder, der dadurch steigt.

Das Thema Cybersecurity klammere ich dabei extra aus und möchte es auch nicht vertiefen. Dieser Punkt ist ein gigantisches Risiko, den Herstellern ist es dagegen aktuell ziemlich egal. Denn anders kann ich mir die Schlagzeilen nicht erklären, wenn Hacker mit Hilfe tausender Toaster weltweit irgendwelche Server angreifen.

Aber auch diese Anbindung von Produkten ans Netz ist ein Trend, der immer stärker kommt. Industrie 4.0 und Stichworte wie Fernwartung sind allgegenwärtig und häufig angefragt.

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Automatisierung und Optimierung

Ein anderer Trend ist die immer weitergehende Optimierung und Automatisierung von Abläufen. Egal auf welche Art und Weise diese durchgeführt werden. In diesem Kontext stellt sich oft eine grundsätzliche Frage, wie ein Produkt einzuordnen ist. Also ob das Produkt überhaupt unter die CE-Kennzeichnung fällt oder nicht.

Auch hierfür habe ich ein Beispiel: Nehmen wir ein Gewächshaus und automatisieren wir dieses. Die Bewässerung, die Beleuchtung, die Atmosphäre und die Zufuhr von Dünger kann alles über eine zentrale Steuerung erfolgen. Auf Wunsch sogar aus großer Entfernung via VPN.

Unter welche Richtlinien fällt das Produkt überhaupt? Ein klassisches Gewächshaus fällt erstmal unter die CE-Kennzeichnung der Bauprodukteverordnung. Durch die Automatisierung kommen vermutlich Niederspannungsrichtlinie, Maschinenrichtlinie und höchstwarscheinlich die RoHS-Richtlinie hinzu. Drei weitere CE-Richtlinien. Doch welche Anforderungen stellt der Gesetzgeber abseits der CE-Kennzeichnung noch? Gelten Regeln des Baurechts? Wie sieht es mit dem Brandschutz aus? Auch solche Projekte sind spannend und führen schlussendlich dazu, dass der CE-Beauftragte genaustens überprüfen muss, wie das Produkt einzustufen ist.

Neue Funktionen und Erweiterungen sollten immer durchdacht werden

Daher ist es umso wichtiger, solche Produkte oder Entwicklungen detailliert zu betrachten, um alle Folgen im Blick zu haben. Nicht nur plötzlich anzuwendenden CE-Richtlinien sind wichtig, auch neue Gefahren und Risiken durch die neuen Funktionen müssen im Zuge der Risikobeurteilung betrachtet und analysiert werden.

Und schlussendlich ist auch immer die Wirtschaftlichkeit eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Macht es Sinn, dass ich meine Beleuchtungsmittel im Haus via Smartphone steuern kann, wenn dadurch die Lampen um ein Vielfaches teurer werden, als die der Konkurrenz? Immerhin besteht die Gefahr, dass der Kunde das neue Produkt aufgrund des höheren Preises nicht kauft.

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