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BA #019 82079-1 Version 2 aus rechtlicher Sicht – Ist die Einhaltung Pflicht?

BA #019 82079-1 Version 2 Aus Rechtlicher Sicht – Ist Die Einhaltung Pflicht?

IEC 82079-1 Version 2 wurde im Mai 2019 veröffentlicht. Sie ist somit das aktuelle Maß der Dinge im Bereich der Technischen Dokumentation und für das Erstellen von Betriebs- und Gebrauchsanleitungen.

„Muss das wirklich umgesetzt werden?“

Viele Hersteller, insbesondere Hersteller im Maschinen- und Anlagenbau bei denen die technische Dokumentation als Stiefkind behandelt wird, stellen sich nun die Frage in wie weit die Norm eingehalten werden muss. Denn die Umsetzung von neuen Normen, insbesondere wenn Vorgängernormen nicht beachtet wurden, ist aufwendig und kostet Zeit und Geld.

Jeder im Bereich der technischen Dokumentation kennt dabei die Situation. Es gibt eine neue Norm und diese muss zunächst angeschafft, gelesen, verstanden und umgesetzt werden. All das benötigt Zeit und Geld. Die Geschäftsleitung fragt also selbstverständlich, wieso das nun gemacht werden muss und ob man dazu verpflichtet ist.

Die Antwort auf diese Fragen kennen Sie vielleicht bereits aus den Folgen meiner Reihe „Normenrecherche“. Sie sind nicht mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sondern etwas umfangreicher und vielschichtiger.

Die Entstehung der IEC 82079-1 Version 2

Prinzipiell gilt dabei, dass Normen keine Rechtsbindung entfalten können, da sie nicht in einem Rechtsetzungsprozess entstehen. Damit ist gemeint, dass Normen von Interessenverbänden gestaltet und formuliert werden und nicht durch ein Organ der Legislative. Beispiele für diese Organe wären Parlamente oder Institute mit Rechtssetzungskompetenz wie der europäische Rat.

Außerdem zeigt die Norm IEC 82079-1 Version 2 auch mit ihrer Entstehungsgeschichte warum solche große Normen nicht durch die Legislative beschlossen werden können. Bei der Konzeption der Norm nahmen Interessenverbände von vielen unterschiedlichen Staaten teil. Beispielsweise Japan, die EU und die USA. Und jedes Land hat Besonderheiten in seiner Rechtsform und den jeweiligen legislativen Verfahren.

Eine Zusammenarbeit auf der legislativen Ebene für Normen wäre also extrem aufwändig und nur schwer umzusetzen. Aber wie bereits erwähnt ist die Antwort nicht so einfach. Ja, Normen sind keine Gesetze, aber sie sollten dennoch berücksichtigt werden. Denn die Antwort ist wie bereits erwähnt vielschichtiger.

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Wird die IEC 82079-1 Version 2 eine harmonisierte Norm?

Betrachtet man die rechtliche Verbindlichkeit von Normen innerhalb der EU, trifft man unweigerlich auf den Begriff der sogenannten harmonisierten Normen. Diese Normen werden in der Regel von der EU erarbeitet und im Amtsblatt veröffentlicht. Diese Normen haben eine sogenannte Konformitätsvermutung im Wechsel mit den Richtlinien für die CE-Kennzeichnung. Werden die Anforderungen aus harmonisierten Normen eingehalten, wird die sogenannte Konformitätsvermutung ausgelöst. Der Hersteller kann dann davon ausgehen, dass er durch die Einhaltung der Norm auch die Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes und der zutreffenden Richtlinien erfüllt. Er ist somit rechtlich gesehen sicherer. Die harmonisierte Norm hat also eine rechtliche Bedeutung.

Jedoch sind nicht alle harmonisierten Normen seitens der EU erarbeitet worden. Einige Normen aus anderen Gremien oder Bereichen können ebenfalls harmonisiert werden. Dazu werden die Normen der Kommission vorgeschlagen und die Normen dann überarbeitet bzw. übernommen.

Betrachtet man nun die IEC 82079-1 Version 2, steht auch hier die Frage im Raum, ob die Norm harmonisiert und entsprechend eine rechtliche Wirkung entfalten könnte. Sollte sie harmonisiert werden, bekommt sie eine erhöhte Bedeutung. Denn im Haftungsfall belegt der Hersteller mit der Einhaltung von harmonisierten Normen, dass er alle Anforderungen seitens CE-Richtlinien und Produktsicherheitsgesetz eingehalten hat. Das Haftungsrisiko, in unserem Fall durch eine Betriebsanleitung, wird sehr stark reduziert.

Schaut man sich jedoch die Arbeitsweise der EU an, ist die Chance gering, dass die IEC 82079-1 zu einer harmonisierten Norm werden könnte. Den die Norm behandelt das Thema zu global und bisher wurden meist nur Normen harmonisiert, die auf Basis von CE-Richtlinien erstellt wurden.

Andere Möglichkeiten für rechtliche Verbindlichkeit der Norm – vertragliche Regelungen

Es gibt jedoch auch andere Fälle, in denen die IEC 82079-1 Version 2 rechtlich verbindlich werden könnte. Die einfachste davon ist es, wenn die Einhaltung der Norm vertraglich gefordert wird. So könnten Teile der Norm als Anforderungsprofil eines Pflichtenheftes gelten. Insbesondere die Kapitel der Norm, die sich mit den Anforderungen an die Benutzerinformation beschäftigen.

Auch könnte die Norm als Qualitätskriterium dienen. Beispielsweise in Vertragsverhandlungen über eine Zusammenarbeit über mehrere Jahre hinweg. Denn die Norm beschreibt nicht nur die Inhalte von Betriebs- und Gebrauchsanleitungen sondern auch wie diese zu erstellen sind. Man könnte also quasi eine Art Qualitätssicherung für die technische Dokumentation definieren, ähnlich wie es bei anderen Produkten gehandhabt wird. Und das diese eben über Jahre hinweg eingehalten wird.

Die Folgen mit einer Nichteinhaltung sind dabei jedoch dieselben wie bei anderen Vertragsstrafen. Meist sind es Busgelder oder ähnliche Strafen. Jedoch handelt es sich dabei noch immer nicht um einen Haftungsfall.

Das Wechselspiel mit der Produkthaftung

Beschäftigt man sich mit der rechtlichen Verbindlichkeit von Normen in Haftungsfällen, landet man beim Thema „Produkthaftung“. Betrachtet man die Bereiche genau, kann man erkennen, dass die Produkthaftung weiter geht als die Anforderungen aus Normen. Den Normen sind der sogenannte „Stand der Technik“, die Produkthaftung betrachtet aber den sogenannten „Stand von Wissenschaft und Technik“. Der Unterschied liegt darin, dass Normen in der Regel inhaltlich veraltet sind, da Normen das abbilden, was in der Praxis bereits erprobt wurde. Der Stand von Wissenschaft und Technik deckt im Gegensatz dazu auch bereits publizierte, wissenschaftliche Erkenntnisse ab, die erst vor kurzem veröffentlicht wurden.

Die Produkthaftung fordert somit nicht nur die Einhaltung von Normen. Sie fordert, dass ein Hersteller alles tut, um das Produkt so sicher wie möglich zu gestalten. Neben der Einhaltung von Normen könnte dies im Bereich der Dokumentation auch sein, dass er auf Rückmeldungen aus dem Vertrieb und Support bezüglich der Anleitung eingeht und diese umsetzt. Oder dass er die Verständlichkeit der Anleitung durch Usability Tests regelmäßig überprüft. Das Zauberwort lautet dabei Produktbeobachtungspflicht.

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Entwicklungen aus der Praxis

Wie die Gerichte in solchen Fällen schlussendlich entscheiden werden, steht noch nicht fest. Daher ist es schwer zu sagen, ab wann ein Hersteller aus Sicht des Gerichtes alles Mögliche oder notwendige getan hat, um ein Produkt sicher zu machen.

Ein nach wie vor wichtiger Bestandteil wird aber immer die Verständlichkeit der Benutzerinformation bleiben. In diesem Zuge werden die Gerichte sich vermutlich auf die IEC 82079-1 Version 2 einlassen und darauf verweisen. Denn die neue Norm fordert, dass die Anleitungen verständlich sein müssen und nicht überfrachtet werden dürfen. Eine Häufung von Sicherheitshinweisen entsprechend dem Motto „je mehr, umso besser“ ist laut Norm nicht zielführend und sollte vermieden werden.

Zwar gibt es hier bisher keinen expliziten Fall, jedoch lässt der Bundesgerichtshof zwischen den Zeilen erkennen, dass auch er für effiziente Warn- und Sicherheitshinweise und eine Reduzierung auf das Wesentliche ist. Denn beides ist wichtiger Bestandteil einer Anleitung. Oder wollen Sie 300 Seiten Anleitung, überfrachtet mit Informationen die Sie nicht benötigen und viel zu vielen Warnhinweisen lesen?

Dabei kann eine Parallele zur Handhabung von Risiken gezogen werden. Aktuell haben Gerichte entschieden, dass das Fehlen von Tests und Nachweisen sich negativ auf die Bewertung einer sachgerechten und sicheren Konstruktion auswirkt. Oder einfach ausgedrückt: Erst wenn der Hersteller mit Nachweisen belegen kann, dass sein Produkt getestet hat und es sicher ist, gilt der Stand von Wissenschaft und Technik als erfüllt.

Spiegelt man diesen Fall auf die IEC 82079-1 Version 2 kann man davon ausgehen, dass eine Betriebsanleitung als Fehlerhaft gilt, wenn die Anforderungen der Norm nicht eingehalten werden.

Sachverständige und der Wettbewerb

Zudem muss ich an dieser Stelle noch eines erwähnen. Sollte es zu einem Haftungsfall durch eine Anleitung kommen, wird das Gericht höchstwahrscheinlich einen Sachverständigen hinzuziehen. Dieser wird auf Basis der aktuell gültigen Normen sein Urteil bilden und fällen. Also wird er für die Beurteilung die IEC 82079-1 heranziehen.

Auch wird er vermutlich schauen, wie das Thema von Wettbewerbern gehandhabt wird. Und auch hier zeigt sich die Akzeptanz der Vorgängernorm DIN EN 82079 im Markt. Den laut Marktanalysen wird die alte Norm von rund 80% der Unternehmen aus dem Industriebereich angewendet. Und diese werden vermutlich auch die neue Norm anwenden.

FAZIT

Durch diese Tatsachen ist es schwer, eine Nichteinhaltung der Norm sinnvoll zu begründen. Den offensichtlich wird sie vom Markt akzeptiert und umgesetzt. Argumente wie „hohe Kosten“ oder „keine Zeit“ wird ein Gericht nicht akzeptieren. Andere Unternehmen machen es schließlich auch.

Somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Norm anzuwenden ist. Eine Missachtung der Norm kann zu einem hohen Haftungsrisiko führen, etwas was normalerweise kein Unternehmer haben möchte.  Sollten Sie oder Ihr Unternehmen sich bisher also nicht mit der Norm beschäftigt haben, empfehle ich Ihnen dies schnellstmöglich zu tun. So können Sie effektiv Haftungsrisiken vermeiden.

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