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MED#002 Medizinprodukteverordnung – gestiegene Anforderungen an die technische Dokumentation

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Am 25. Mai 2017 erschien die Medizinprodukteverordnung und änderte für Hersteller aus diesem Bereich einiges. Es gibt eine Vielzahl an neuen Anforderungen, die die Hersteller erfüllen müssen. Nur so agieren sie gesetzeskonform und haftungssicher. Verstöße gegen die Verordnung können zu Bußgeldern oder einem Verkaufsstopp führen. Aktuell befinden wir uns noch in der Übergangsphase, die Verordnung muss erst ab 2020 verbindlich eingehalten werden. Die Hersteller haben also noch etwas Zeit für die Umsetzung und für uns ist dies Grund genug, uns die Verordnung und die Änderungen genauer anzuschauen.

Richtlinie und Verordnung im Vergleich

Vergleicht man die alte Richtlinie und die neue Verordnung direkt, fällt gleich zu Beginn eine gravierende Änderung auf. Die neue Verordnung ist wesentlich umfangreicher als die alte Richtlinie. Allein das Lesen und Interpretieren des neuen Gesetzestextes mit seinen 175 Seiten benötigt Zeit und stellt den einen oder anderen vor eine Herausforderung. Dazu kommen über 100 neue Artikel und 4 neue Anhänge, weitere Anhänge sind auch noch in Planung. Diese werden aber noch erarbeitet.

Dieser erhöhte Umfang kommt daher, dass die neue Verordnung nicht nur die alte Medizinprodukterichtlinie ersetzt, sondern auch die alte Richtlinie über implantierbare Medizinprodukte. Diese Zusammenführung wirkt sich logischerweise im Geltungsbereich der Verordnung aus. Der Geltungsbereich wurde dadurch erheblich erweitert, es fallen nun nicht nur die Produkte aus den beiden alten Richtlinien darunter, sondern auch weitere Produkte und Kategorien wurden aufgenommen.

Dies birgt für einige Hersteller nun unerwartete Haftungsrisiken. Denn nun fallen auch Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung unter die Medizinprodukteverordnung. Beispielsweise farbige Kontaktlinsen oder Implantate und Stoffe für ästhetische Zwecke. Sprich Produkte, die Leute zum Verändern ihres Aussehens nutzen und in den Körper oder Körperteile eingeführt werden. Für die Hersteller dieser Produkte bedeutet dies, dass sie nun Medizinprodukte herstellen und die Anforderungen der Verordnung erfüllen müssen. Ein nicht zu unterschätzendes Risiko und ein nicht zu unterschätzender Aufwand.

Geänderte Anforderungen an die Produkte

Bevor wir aber die Anforderungen an die technische Dokumentation selbst betrachten, betrachten wir zunächst einige geänderte Anforderungen an die Produkte. Der wohl wichtigste Punkt sind die klinischen Bewertungen. Die neue Verordnung regelt und beschreibt klinische Bewertungen und klinische Prüfungen detaillierter als zuvor.

Die klinische Bewertung

Medizinprodukte müssen grundlegende Anforderungen von der Medizinprodukteverordnung und dem Medizinproduktegesetz erfüllen. Zu diesen Anforderungen gehört die klinische Bewertung, ohne die ein Produkt nicht vertrieben werden darf. Mit dieser klinischen Bewertung sollen folgende Ziele erreicht werden:

  • Der Nachweis des Herstellers, dass sein Produkt den klinischen Nutzen überhaupt ausreichend erfüllt. Oder einfach gesagt: Der Nachweis ob das Produkt eine ausreichende Medizinische Wirkung hat.
  • Der Nachweis des Herstellers, dass sein Produkt sicher ist und zu keinen unerwarteten oder inakzeptablen Nebenwirkungen führt.
  • Vergleich der Marketingaussagen (Flyer, Websiten, etc.,) mit der tatsächlichen Wirkung des Produktes.

Diese klinische Bewertung basiert auf sogenannten klinischen Daten. Diese klinischen Daten können entweder auf bereits vorhandenen Daten basieren, den sogenannten Literaturdaten oder müssen im Rahmen einer klinischen Prüfung erhoben werden. Da klinische Studien in der Regel langwierig, aufwendig und entsprechend teuer sind, verwenden viele Hersteller die Literaturdaten. Diese können aus mehreren Quellen und Datenbanken abgerufen und eingesehen werden. Beispielsweise aus der Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte oder der Datenbank der FDA.

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Die klinische Bewertung – Anforderungen an Literaturdaten

Die neue Verordnung fordert nun, dass sich der Hersteller nur auf Literaturdaten stützen darf, wenn die Gleichartigkeit des anderen Produktes nachgewiesen wird. Also nur wenn das Produkt ausreichende Ähnlichkeit mit dem eigenen Produkt hat. Die Medizinprodukteverordnung fordert dabei eine technische, biologische und klinische Äquivalenz. Ansonsten muss eine klinische Studie erhoben werden.

Die Verordnung definiert die drei Bereiche wie folgt:

  • Technisch: Das Produkt ist von ähnlicher Bauart, wird unter ähnlichen Anwendungsbedingungen angewandt, hat ähnliche Spezifikationen und Eigenschaften einschließlich physikalisch-chemischer Eigenschaften wie Energieintensität, Zugfestigkeit, Viskosität, Oberflächenbeschaffenheit, Wellenlänge und Software-Algorithmen, verwendet gegebenenfalls ähnliche Entwicklungsmethoden und hat ähnliche Funktionsgrundsätze und entscheidende Leistungsanforderungen.
  • Biologisch: Das Produkt verwendet die gleichen Materialien oder Stoffe im Kontakt mit den gleichen menschlichen Geweben oder Körperflüssigkeiten für eine ähnliche Art und Dauer des Kontakts bei ähnlichem Abgabeverhalten der Stoffe einschließlich Abbauprodukte und herauslösbarer Bestandteile („leachables“).
  • Klinisch: Das Produkt wird unter der gleichen klinischen Bedingung oder zum gleichen klinischen Zweck, einschließlich eines ähnlichen Schweregrads und Stadiums der Krankheit, an der gleichen Körperstelle und bei ähnlichen Patientenpopulationen in Bezug auf u.a. Alter, Anatomie und Physiologie angewandt, hat die gleichen Anwender und erbringt eine ähnliche, maßgebliche und entscheidende Leistung im Hinblick auf die erwartete klinische Wirkung für eine spezielle Zweckbestimmung. “ (Quelle Medizinprodukteverordnung)

Die Sache mit den Richtlinien und Verordnungen ist aber leider so, dass sie in der Regel viel Spielraum zur Interpretation lassen. Der Gesetzgeber möchte ja nur einen Rahmen vorgeben, in denen sich die Hersteller bewegen sollen. Dadurch ist es bei diesen Definitionen möglich, dass die benannten Stellen die Äquivalenz so hoch auslegen, dass der Hersteller gar nicht um die klinische Prüfung herumkommt. Dies kann dazu führen, dass der Hersteller bevor er das Produkt verkaufen darf, plötzlich eine klinische Prüfung in Auftrag geben muss, obwohl ein ähnliches Produkt bereits auf dem Markt vorhanden ist.

Verpflichtung zur klinischen Prüfung

Für einige Produkte ist es auch verpflichtend, diese klinische Prüfung durchzuführen. Dort dürfen die klinischen Daten nicht nur auf Literaturdaten basieren. Dazu gehören insbesondere Implantate der Klasse IIb und alle Produkte der Klasse III.

Weitere Anforderungen an die klinischen Daten

Weiterhin fordert die Verordnung, dass diese klinischen Daten jederzeit vom Hersteller gesammelt und bewertet werden. Und zwar im gesamten Lebenszyklus des Produktes. Die Häufigkeit der Aktualisierung hängt dabei von der Klasse des Produktes ab, die in Artikel 84 der Verordnung definiert wird. Dabei fordert die Verordnung, dass auf neue Erkenntnisse und Auffälligkeiten seitens des Herstellers aktiv reagiert wird und Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Sprich sollte der Hersteller feststellen, dass es unerwartete Nebenwirkungen gibt, muss er benannte Stellen informieren und Maßnahmen einleiten. Außerdem legt die Medizinprodukteverordnung fest, dass die klinische Bewertung Teil der technischen Dokumentation des Produktes ist. Dadurch hat der Hersteller auch die Pflicht, seine technische Dokumentation dauerhaft zu aktualisieren und anzupassen.

Die klinische Bewertung ist übrigens laut der alten Richtlinie und der neuen  Medizinprodukteverordnung Pflicht. Sprich auch wenn es nicht sinnvoll scheint, dass ein Produkt wie eine App, einer klinischen Bewertung unterzogen wird, so muss dies durchgeführt werden. Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erlaubt die Verordnung einen Verzicht auf die klinische Bewertung. Dies ist dann in einem Einzelfall genau zu prüfen.

Weitere Anforderungen an Produkte

Neben diesen Anforderungen an die klinischen Bewertungen haben sich noch einzelne, weitere Anforderungen an die Produkte verändert. Diese zeige ich gleich in Kurzform auf, damit wir zu unserem eigentlichen Thema voranschreiten können:

  • Die Anforderungen an Produkte mit Gefahrenstoffe, insbesondere krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe wurden erhöht.
  • Die Anforderungen an die Etikettierung von Medizinprodukten hat sich geändert
  • Jedes Produkt muss zukünftig eine eindeutige Produktidentifzierungsnummer (kurz UDI) erhalten
  • Die Anforderungen an die Wiederaufbereitung von Einmalprodukten sind ebenfalls gestiegen.
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Anforderungen an die Organisationen und Hersteller

Zu den Anforderungen an die Produkte hat die neue Verordnung auch Anforderungen an Hersteller und verschiede Organisationen gestellt, die ich ebenfalls kurz erwähnen möchte.

  • Die Verordnung fordert nun von Herstellern das benennen einer „qualifizierten Person“. Damit ist eine Person gemeint, die für die Umsetzung der Anforderungen der Medizinprodukteverordnung verantwortlich ist. Der Hersteller muss dabei auch die Qualifikation dieser Person im Hinblick auf die Aufgaben nachweisen.
  • Die benannten Stellen haben erweiterte Befugnisse erhalten. Sie dürfen nun unangekündigte Audits, Stichproben und Produktprüfungen nach dem Inverkehrbringen von Produkten durchführen. Hersteller müssen außerdem bei bestimmten Produktgruppen jährlich Berichte über Sicherheit und Leistung der Produkte bei den benannten Stellen einreichen.
  • Und zu guter Letzt das wohl wichtigste: Es gibt keinen Bestandsschutz. Laut der neuen Verordnung müssen alle derzeit genehmigten Medizinprodukte erneut nach den neuen Anforderungen zertifiziert werden. Über Ausnahmeregelungen wird noch verhandelt. Dies bedeutet, dass „die Uhr läuft“, die Hersteller haben nur noch bis nächstes Jahr Zeit, die Anforderungen zu erfüllen.

Geänderte Anforderungen an die technische Dokumentation

Kommen wir nun also zu den geänderten Anforderungen an die technische Dokumentation von Medizinprodukten. Diese sind sehr zahlreich, weshalb ich es über Kategorien und Bereiche gliedern möchte. Aufgrund der großen Anzahl kann ich auch nicht im Detail auf alles eingehen. Sollten sie, liebe Zuhörer, weitere Details dazu benötigen, schreiben sie mir bitte eine E-Mail, ein Kommentar oder rufen Sie uns einfach an.

Kategorie Detailforderung Alte Richtlinie Neue Verordnung
Beschreibung des Geräts Produkt- oder Handelsname (X) X
Allgemeine Beschreibung X X
Klassifizierung und Begründung (X) X
Varianten, Konfigurationen (X) X
Fotos X
Identifikation UDI DI X
Bestimmungsgemäßer Gebrauch Zweckbestimmung X X
Vorgesehene Anwender X
Patientenpopulation X
Indikationen und Kontraindikationen X
Vorgesehene Anwendung (X) X
Zubehör X
Zusammenspiel mit anderen Produkten (X) X
Physikalisches Prinzip Beschreibung der Neuerungen X
Überblick über ähnliche Produkte X
Überblick über Vorgängerprodukte X
Aufbau Wesentliche Funktionen X
Teile, Komponenten, Zusammensetzung X X
Zeichnungen, Diagramme, Erläuterungen X X
Beschreibung von Materialien (mit Körperkontakt) X
Technische Spezifikationen X
Berechnungen X
Labeling Broschüren, Kataloge X
Gebrauchsanweisungen X X
Beschriftungen X X
Verpackungen X
Herstellung Entwicklungs- und Produktionsphasen inklusive Validierung von Prozess und Werkzeugen, Testen des Produkts X X
Angabe aller Standorte einschließlich aller an der Entwicklung und Produktion beteiligten Lieferanten und Unterauftragnehmer X
Qualitätssicherung Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Sicherheit X X
Referenzen auf Nachweise aller grundlegenden Anforderungen X X
Verifizierung und Validierung zum Nachweis der grundlegenden Anforderungen mit Begründung der Wahl insbesondere betreffend X X
Sicherheit
Performanz
Bei Messfunktion: Genauigkeit
Interoperabilität
Nennung aller harmonisierten Normen oder anderer Standards X X
Risikomanagement Risiko-Nutzenanalyse X X
Risikomanagementplan X
Risikoakzeptanz X X
Risikoanalyse (auch durch Gebrauchstauglichkeit, Produktion und nachgelagerte Phase) (X) X
Maßnahmen zur Risikokontrolle X X
Ergebnisse des Risikomanagements und Maßnahmen X X
Daten aus Forschung und Entwicklung (prä-klinische und klinische Daten) Ergebnisse von Vortests (z.B. Labor, Simulation, Tierversuche) einschließlich Beschreibung des Testdesigns z.B. mit Bezug zur (X) X
Biokompatibilität
elektrischen Sicherheit
biologische und toxische Materialien (hier nicht näher untersucht)
Software (s. nächster Punkt)
Klinische Bewertung X X
Software Verifizierung (X) X
Validierung X X
Architektur X
Entwicklungsprozess X X
Tests mit verschiedene Hardware X
Tests „inhouse“ und in Gebrauchsumgebung X

Schaut man sich diesen Berg an Änderungen und Ergänzungen an, müssen sich wohl einige Hersteller auf die Umstellung im kommenden Jahr vorbereiten. Denn solange diese Anforderungen nicht erfüllt sind, erfüllen die Produkte nicht die Medizinprodukteverordnung. Und somit gibt es auch keine erneute Zulassung zum Markt.

Neben diesen Änderungen hat der Gesetzgeber auch noch eine weitere Änderung veranlasst, die im Vergleich jedoch gering ist. Seit 2017 muss nun nämlich die technische Dokumentation 10 Jahre lang aufbewahrt werden. Ähnlich wie es in anderen Branchen bereits gehandhabt wird. Zuvor waren es 5 Jahre.

Diese Maßnahme zeigt auch, wie wichtig die technische Dokumentation für den medizinischen Bereich inzwischen ist. Sucht man in der Verordnung übrigens nach „Dokumentation“ finden Sie über 400 Suchergebnisse, was dies ebenfalls nochmals unterstreicht.

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