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Extra #011 Anleitung? Liest doch sowieso niemand…

Extra #011 Anleitung? Liest Doch Sowieso Niemand…

Technische Redakteure bekommen häufig die Aussage „Anleitung? Das liest doch niemand“ zu hören. Diese Folge ist eine Stellungnahme zu dieser Aussage. Anhand von drei Gruppen wird erläutert, wer Anleitungen trotzdem liest und warum die Aussage falsch ist. Auch die Herkunft der Aussage wird thematisiert.

Die häufigste Aussage im Bereich der Technischen Dokumentation

Ich war die vergangenen Tage bei einem Recherche-Termin bei einem Kunden vor Ort. Und mal wieder habe ich den Spruch der technischen Dokumentation zu hören bekommen. Ich glaube jeder der Zuhörer hat ihn schon mal zu hören bekommen und vermutlich sind Sie den Spruch genauso leid wie ich.

Es geht um den Spruch „Anleitung? Liest doch sowieso niemand!“ oder der Aussage in anderen Formulierungen. Meist dient die Aussage dem Grund, die Bedeutung der Anleitung herunterzuspielen oder komplett die Existenzbegründung abzuerkennen.

Wenn ich diese Aussage höre, widerspreche ich inzwischen. Und zwar in dem ich, wie damals in der Schule, die Hand hebe und laut sage „doch ich“. Und auf der Rückfahrt vom Termin habe ich beschlossen, dass ich mich mit dieser Aussage heute auseinander setze.

Warum die Aussage falsch ist

Denn diese Aussage ist falsch. Ich kann zumindest 3 Gruppen nennen, die Anleitungen lesen. Die erste Gruppe bin ich bzw. wird durch mich vertreten. Technische Redakteure und Personen mit ähnlichen Aufgaben lesen gerne Dokumentation.

Aus meiner Erfahrung allein aufgrund des beruflichen Interesses. Zu schauen wie Kollegen Anleitungen schreiben und gestalten oder Problemstellungen lösen, finde ich sehr interessant. Denn das bietet für mich wieder Ideen und Lösungsansätze, die in meine eigene Dokumentation einfließt und weiter verbessert.

Der andere Grund warum ich Dokumentation lese, ist tatsächlich weil ich das Produkt besser kennen lernen will und somit auch in gewisser Weise die Arbeit hinter dem ganzen Prozess wertschätzen möchte. Stückweit ist spiegelt das Dokument vor mir ja auch meine Arbeit wieder und ich möchte ja auch, dass diese gelesen wird.

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Die kritischste Gruppe die die Anleitung zerpflückt

Kommen wir von mir zur nächsten Gruppe. Eine mit der Sie hoffentlich niemals zu tun haben werden. Denn diese Gruppe wird Ihre Anleitung haargenau, Wort für Wort lesen und auf die Goldwaage legen. Ich spreche von Anwälten und Richtern oder allgemein von Juristen.

Wenn Sie in dieser Situation sind, haben Sie genau die Gruppe an Lesern erreicht, die wohl am kritischsten ist. Leider ist das meist damit verbunden, dass jemand oder etwas verletzt oder im Falle von Gegenständen, beschädigt wurde.

Hier lohnt es sich dann, wenn Sie „Zeit vertrödelt“ oder „alles viel zu detailliert“ beschrieben haben. Denn diese beiden Aussagen stammen auch gerne von denselben Personen, die behaupten eine Anleitung würde niemand lesen.

Und nach dieser Situation wird wohl auch der unbelehrbarste Chef einsehen, dass es sich durchaus lohnt Zeit, Geld und Weiterbildung in das Thema „Technische Dokumentation“ zu investieren. Denn im besten Fall war diese gut genug, den haftungsfall abzumildern oder ganz zu vermeiden.

Die Gruppe die die Aussage trifft

Nach diesen beiden Gruppen kommen wir wohl zur größten Gruppe. Und diese Gruppe ist auch interessanterweise die Gruppe, die häufig die Aussage „Anleitungen liest niemand“ trifft. Zunächst lösen wir, ich nenn es mal „Paradox“ auf. Die Gruppe die die Aussage trifft, spricht aus eigenen Erfahrungen.

Ich nenne die Gruppe einfachheitshalber „die Allgemeinheit“. Und die Allgemeinheit hat immer wieder Anleitungen gelesen. Aber wir reden hier von technischer Dokumentation die häufig schlecht und günstig erstellt wird, da sie meist zu Consumer-Produkten gehört. Also Anleitungen für Fernsehgeräte, Backöfen, Spülmaschinen etc.

Gleich eine Anmerkung: Ich rede nicht von allen Herstellern. Denn es gibt Hersteller, die das Thema gut und Nutzerfreundlich aufbereiten. Aber leider macht dies meiner Erfahrung nach nicht die große Masse. Dort wimmelt es von schlechter, unübersichtlicher und schwer verständlicher Dokumentation, die dann meist auch noch ohne Prüfung maschinell übersetzt wurden. Und ich glaube so etwas hat schon jeder gelesen.

Der Grund zur Annahme dass niemand eine Dokumentation liest

Und was ist die Folge, wenn die Allgemeinheit solche schlechte Dokumentation liest? Meist wird zur Anleitung gegriffen, wenn man ein Problem mit dem Produkt hat. Also sucht man in der Anleitung nach der Lösung. Und was findet man leider häufig in solchen Anleitungen? Richtig – keine Lösung

Denn die Dokumentation ist komplett an der Realität vorbei erstellt worden. Die Beantwortung von Nutzerfragen oder häufigen Problemstellungen werden nicht behandelt. Dafür stehen seitenweise Garantieausschlüsse oder Danksagungen an den Nutzer darin, dass er das Produkt gekauft hat.

Vorausgesetzt der Text ist überhaupt lesbar. Denn leider gibt es auch zu oft so schlechte Übersetzungen, dass niemand mehr versteht, was der Autor einem erklären möchte. Und diesen Fall erlebt die Allgemeinheit immer wieder und wieder. Dadurch festigt sich die Annahme, dass die Dokumentation nichts bringt, was in diesem Beispiel ja auch stimmt. Und warum soll ich dann noch die Anleitung lesen? Und so stehen wir wieder bei der Aussage: „Anleitung? Liest doch eh niemand“.

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Dokumentation im Wandel der Zeit

Aber ich bin inzwischen guter Dinge bezüglich dieser Aussage. Zum einen, da ich sie wie hier dargelegt wiederlegen kann und ich diese auch inzwischen mit Humor annehme. Zum anderen sehe ich den Wandel der Zeit.

Denn schaut man sich Anleitungen von verschiedenen Jahren an, kann man signifikante Entwicklungen sehen. Im Prinzip kann man sagen, je älter eine Anleitung, umso schlechter ist sie vermutlich. Denn so gab es in den frühen 2000ern zum Beispiel nur wenig Literatur oder ausgebildete Fachkräfte. Entsprechend sahen die Dokumentationen auch aus.

Dann kam 2012 die DIN EN 82079-1 „Erstellen von Gebrauchsanweisungen“ heraus, was zusammen mit neuen, ausgebildeten Fachkräften die Anleitung stark weiterentwickelt hat. Und nun kam vergangenes Jahr wiederum die Version 2 IEC IEEE 82079-1 heraus, was die Anleitung wieder weiterentwickelte. Und weitere, zukünftige Entwicklungen stehen ja bereits in den Startlöchern, z. B. mit der neuen Maschinenrichtlinie.

Rechtlicher Fokus auf Anleitungen erhöht die Bedeutung dieser

Außerdem hat die vorhin erwähnte zweite Gruppe die Bedeutung der Anleitung ebenfalls erhöht, so dass diese auch mehr in den Fokus von leitendem Personal kommt. Denn die Anwälte oder Mitbewerber haben die Bedeutung der Dokumentation erkannt und nutzen schlechte oder fehlerhafte Anleitungen für Klagen im Zuge des Wettbewerbsrechts.

Sprich die Anleitung oder die technische Dokumentation gewinnt an Bedeutung. Hoffentlich so viel, dass die Aussage „Anleitung? Liest doch eh keiner“ bald der Vergangenheit angehört.

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